Gerhard Richter zum 85. Er will es noch einmal wissen

Bonn · Gerhard Richter, die Nummer eins im Kunstmarkt, feiert seinen 85. und verblüfft mit 25 neuen Bildern im Kölner Museum Ludwig. Das Kunstmuseum Bonn bereitet eine Werkschau vor.

Nein, nach einem abgeklärten Alterswerk sieht das nicht aus, was in einem langen Gang des Kölner Museums Ludwig hängt: 25 abstrakte Bilder, die malerische Ausbeute von Gerhard Richter aus dem vergangenen Jahr. Vieles wirkt experimentell, wild, pulsierend, vibrierend, weniger das Oeuvre kühl rekapitulierend als Ergebnis künstlerischer Neugier – gepaart mit einem fantastischen Gespür, geradezu einem Instinkt für Farben und Räume.

Was man denn zu seinem 85. machen könne, fragte ihn der Chef des Museums, Yilmaz Dziewior, im vergangenen Jahr. Er sei um seinen Geburtstag herum verreist, lautete Richters Antwort, offenbar keine Lust auf eine Hommage. Im November dann ein Anruf: Er habe ganz neue Bilder, man könne sie sich im Atelier in Hahnwald anschauen, erzählt die Kuratorin Rita Kersting.

Das Ergebnis dieser Sichtung ist nun ab Donnerstag, Richters 85. Geburtstag, im Ludwig zu sehen. Unglaubliche Frische und Offenheit ist da zu erleben, eine umwerfende malerische Freiheit manifestiert sich. Die Mittel des Meisters sind unverändert: Spachtel, Pinsel, dessen kantige Rückseite, Messer und Rakel, eine Art Latte, die über die noch feuchte Farbe gezogen wird.

Bei früheren abstrakten Bildern entstand durch die Rakel ein vorderer Abschluss des Bildes, eine Art Haut oder Membran. In Richters neuen Arbeiten agiert die Rakel eher im Hinter- und Untergrund. Die Bildoberfläche wirkt offen, verletzlich, transparent. Eine ungewöhnliche räumliche Tiefe tut sich auf, ein Relief wird spürbar, aufgewühlt durch den mitunter radikalen Einsatz von Spachteln und Kratzinstrumenten. Als letzter Kommentar zieht sich hier und da und gerne auch gegen den Fluss der Malerei eine einsame Pinselspur über das vibrierende, energetische Ganze.

Der Mann, der ein Künstlerleben lang mit dem Phänomen Bild sowie mit dem Dilemma Abbild und Realität gehadert hat, der seit seinen Anfängen die Frage nach der Bedeutung des gemalten Bildes durchdekliniert hat, setzt hier malerische Zeichen. Kein Titel – die neuen Arbeiten sind stur durchnummeriert –, nichts Gegenständliches, nichts, was ablenken könnte von der reinen Begegnung mit Schichten, Spuren, gestaffelten, leuchtenden Farbräumen.

Peter Ludwig hat ihn schon früh gesammelt

Seit 1983 lebt der gebürtige Dresdner Richter in Köln, schon früh wurde der Sammler Peter Ludwig, der Richters Kunst als „German Pop Art“ sah, auf den Maler aufmerksam. Er kaufte „Ema (Akt auf einer Treppe)“ von 1966, Richters nach einer Fotografie gemalter Akt seiner damaligen Frau, eine wahre Ikone. Auch die „48 Porträts“ von Dichtern und Denkern, die Richter 1972 auf der Biennale in Venedig zeigte – der internationale Durchbruch –, sicherte sich Ludwig. Ein wertvoller Grundstock für das Museum, das über eine exzellente Richter-Sammlung verfügt.

Zum Geburtstag durfte er nun damit arbeiten. Richter hat nicht nur die 25 neuen Arbeiten zu einem spannenden Parcours arrangiert, er hat auch aus dem Ludwig-Fundus – angereichert durch drei Leihgaben aus eigenem Besitz – eine starke Mini-Retrospektive zusammengestellt. Spektakulärster Eindruck ist sicherlich die Präsentation der 48 Geistesgrößen rund um Franz Kafka, nicht als großer Block, wie es das Ludwig oder die Bundeskunsthalle bei der Retrospektive 1993 zeigte, sondern als über Kopfhöhe angeordneter Fries, wie Richter ihn für Venedig vorgesehen hatte. Man sieht die realistisch Grau-in-Grau gemalten Porträts mit neuen Augen.

Abstraktion, die letztlich kalkuliert ist, trifft auf Gegenständlichkeit, die ihren Inhalt verleugnet: Die Ausstellung zeigt das graffitiartige Gemälde „Krieg“ von 1981 und „5 Türen“ nebst Vorzeichnungen von 1967. Das berühmte verwackelt-fotorealistisch gemalte Porträt von „Onkel Rudi“ in Wehrmachtsuniform – „Richters und unser aller Lieblingsonkel“ (Kersting) – und ein Alliierten-Luftbild Dresdens während der verheerenden Bombardierungen streifen ebenso Biografisches, wie die Bildnisse von „Ema“, „Betty“ und „Ella“. Arbeiten wie „1260 Farben“ und „40 000 Pixel“ riskieren einen Blick in die Unendlichkeit der Malerei und in den Werkzeugkasten des Malers Richter. Was damit alles möglich ist – das zeigen die neuen Bilder von 2016 eindrucksvoll.

Museum Ludwig, Köln; bis 1. Mai 2017. Di-So 10-18 Uhr. Weitere Station: Albertinum Dresden. Katalog 24 Euro.

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