Leonard Cohens letztes Album zu Lebzeiten „I'm ready, my Lord“

Bonn · Das Gefühl von Vergänglichkeit und das große schwarze Nichts bestimmen den Ton und die Thematik von Leonard Cohens drei Wochen altem Album „You Want It Darker“. Nun hat der Tod die Legende eingeholt.

Bob Dylan und Leonard Cohen gingen bis zuletzt freundschaftlich miteinander um. Die Pop-Poeten schätzten einander auch als Künstler. Cohen erinnerte sich kürzlich im Gespräch mit David Remnick vom amerikanischen Magazin „The New Yorker“ an eine bezeichnende Episode. Dylan und Cohen fuhren zusammen im Auto. Dylan zitierte während der Fahrt die an ihn gerichteten Worte eines berühmten Songwriters: „O.K., Bob, you're Number 1, but I'm Number 2.“ Dann sagte Dylan zu Cohen gewandt: „Wenn es nach mir geht, Leonard, bist du die Nummer 1. Ich bin Nummer 0.“

Null, erinnerte sich Leonard Cohen, bedeutete in Dylans Fall, dass der frisch gebackene Literatur-Nobelpreisträger seine Musik außerhalb jedes Maßstabs verortete – „and my work was pretty good“.

Ziemlich gut – eine sensationelle Untertreibung. Der in Kanada geborene Cohen, 82 Jahre alt, gehörte zu den bedeutendsten Sängern und Songschreibern der Gegenwart. In den vergangenen Jahren erschien er dem Publikum wie ein alter, weiser Mann, der von einem Berg heruntersteigt und den Menschen singend seine Einsichten und Botschaften überbringt: zu einer sinnlich-minimalistischen Musik, mit majestätisch brummelndem Bass.

Liebe, Gott, Religion, Gewalt, Menschheitskatastrophen, all diesen Dingen widmete sich Cohen auf seinem Album „Popular Problems“ aus dem Jahr 2014. Am Freitag, 21. Oktober, erschien „You Want It Darker“. Wie der Titel nahelegt, bestimmen das Gefühl von Vergänglichkeit und das große schwarze Nichts, der Tod, den Ton und die Thematik der insgesamt neun Songs. „Ich bin bereit zu sterben“, hat er dem „New Yorker“ anvertraut. „Ich hoffe, es wird nicht zu unangenehm.“

Eine fast schon unheimliche Vorahnung. In einem anderen Song formuliert Cohen die Ahnung der eigenen Endlichkeit anders, aber kaum weniger deutlich: „I'm leaving the table“ - frei übersetzt: „Ich trete ab“. Das Thema Todesahnung versuchte der Sänger zwar kurz vor dem Erscheinen von „You Want It Darker“ nochmal zu zerstreuen, indem er bei einer überraschend launigen Pressekonferenz sagte, er werde 120 und habe noch viel vor. Allerdings mischte sich auch in diese - von vielen Fans mit Erleichterung aufgenommenen - Statements Skepsis angesichts des hohen Alters von 82 Jahren.

Aber auch die Liebe bleibt natürlich nicht unerwähnt. „If I Didn’t Have Your Love” ist ein Lied für die Cohen-Klassiker-Vitrine. Das gilt erst recht für „Leaving The Table“. Begleitet von einer Country-Gitarre nimmt da einer mit einer trügerisch sentimentalen Melodie Abschied, vom Leben und von der Liebe. „I'm leaving the table / I'm out of the game“, singt Cohen. Und: „I don't need a lover / the wretched beast is tame.“

Alles vorbei, soll das bedeuten: „So put out the fire.“ Das Stück „Traveling Light“ behandelt das gleiche Thema mit entspannter Melancholie, einer zu Herzen gehenden Geige – dem zentralen Instrument auf diesem Album – und einem Cohen-typischen Frauenchorus. Humorvolle Akzente sind unüberhörbar, seinen Sinn für ironische Pointen und anspielungsreiche lyrische Miniaturen hatte der 82-Jährige nicht verloren.

Der Jude Cohen hat verschiedene spirituelle Einflüsse auf sich wirken lassen. Erleuchtung suchte er in jüdischem Mystizismus, Katholizismus, Buddhismus, Scientology, nicht zuletzt in LSD – „anything that works“. Von der lebenslangen Beschäftigung mit seiner Religion zeugt unter anderem der Titelsong des neuen Albums. Gideon Zelermyer, Kantor der Synagoge Shaar Hashomayim in Montreal, und der Shaar Hashomayim Choir unterstützen den Sänger. Im Refrain heißt es: „Hineni Hineni / I'm ready my Lord.“ „Hineni“ ist hebräisch für „Hier bin ich“ – Abrahams Antwort auf Gottes Anordnung, Isaak zu opfern.

Dieses sofort weltweit als spätes Meisterwerk gefeierte Album ist also ein würdiger Abschluss der Karriere des hinter Dylan wohl zweitwichtigsten Dichters der Popmusik. „Wer weiß, vielleicht bekomme ich ja noch einen zweiten Atem, ich weiß es nicht“, sagte Cohen dem „New Yorker“ auch noch. Es sollte nicht mehr sein.

Leonard Cohen: You Want It Darker. Sony Music. Seit dem 21. Oktober im Handel.

(mit Material von dpa)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort