Musikfestival "Acht Brücken" Einstürzende Neubauten: Der Schmerz ist weg

Köln · Die legendäre Berliner Band um Mastermind Blixa Bargeld zeigt sich in der Kölner Philharmonie von ihrer poetischen Seite. Aber auch Stahlplatten, Turbinen und andere Gerätschaften kommen zum Einsatz.

 Dada-Hommage: Neubauten-Frontmann Blixa Bargeld.

Dada-Hommage: Neubauten-Frontmann Blixa Bargeld.

Foto: Thomas Brill

Früher, in Berlin Anfang der 80er Jahre, sangen die Einstürzenden Neubauten noch „Hör mit Schmerzen“, malträtierten die Ohren ihres Publikums mit infernalischen Lärmattacken, erzeugt von Gerätschaften, die sie auf Baustellen mitgehen ließen oder auf Schrottplätzen fanden. Heute finden sie eher „Silence is Sexy“. Diesen Titel spielten sie bei ihrem "Acht Brücken"-Gastspiel in der ausverkauften Kölner Philharmonie als erste Zugabe – mit langen Kunstpausen und tiefen Zügen aus einer Zigarette, deren Glut Frontmann Blixa Bargeld in Mikrofonnähe laut knistern ließ. Dem gleichnamigen, zum Millenniumswechsel erschienenen Album entnahmen die Neubauten auch die meisten Stücke, die sie sich für ihr Programm ausgesucht hatten, das sie hübsch ironisch „Greatest Hits“ nennen: In ihrer 37-jährigen Bandkarriere sucht man einen wirklich kommerziellen Hit vergebens.

Barfuß und in dunklem Zwirn betrat Blixa Bargeld die mit schwarzem Bodenbelag ausgelegte Bühne. Schaute nach rechts, wo Bandkollege Alexander Hacke, ebenfalls ohne Schuhwerk, leise Glissandi auf seiner Bassgitarre zog, während Perkussionist N. U. Unruh mit leisen Schlägen eine blaue Plastiktonne beklopfte. „You will find me if you want me in the garden, unless it's pouring down with rain“, beginnt Blixa Bargeld zu singen.Und man hört den monotonen Regen förmlich tropfen. Eine wunderschöne lyrische Nummer, mit der sie das über zweistündige Konzert beginnen. Seit der Perkussionist FM Einheit Mitte der 90er Jahre der Band im Streit den Rücken kehrte, sind die Klänge differenzierter geworden, der Lärm ist domestiziert und wird, wenn er doch wieder anrollt, immerhin subtil instrumentiert. Die Anarchie ist der Struktur gewichen. Nur so freilich konnten sie überleben. „Wenn ich das, was ich mit 21 auf der Bühne getan habe, heute versuchte, wäre das lächerlich“, sagte Blixa Bargeld kürzlich in einem Interview mit dem österreichischen Nachrichtenmagazin „Profil“.

Selbst das unmittelbar folgende, aggressive „Haus der Lüge“, das in Zeiten von Fake News seine betrübliche Aktualität bewahrt, versinkt bei allem Lärm nicht im Chaos. Es ist ein Textgebäude von imposanter poetischer Ausdrucksgewalt. „Gott hat sich erschossen, ein Dachgeschoss wird ausgebaut“, singt Blixa Bargeld am Ende in hartem Staccato.

Nicht alles ist so todernst. Und schon gar nicht die mitreißende Kurt-Schwitters-Hommage „Let's Do It a Dada!“, in der Blixa Bargeld seinem Sprechgesang eine geheimnisvolle Aura verleiht. „Ich spielte Schach mit Lenin, Zürich, Spiegelgasse“, behauptet er und fährt kryptisch fort: „Ich kannte Jolifanto höchstpersönlich, hab mit dem Urtext selbst einmal gebadet.“ Und N. U. Unruh setzt sich den Dada-Hut auf und rezitiert Dada-Verse. Dass nach diesem Lied der Strom ausfällt, scheint schon fast Teil der Inszenierung zu sein. „iPhones raus, Lampe an“, befielt Blixa Bargeld dem überwiegend in Schwarz angereistem Publikum. Und große Teile gehorchen. „Lutz, das ist Licht“, ruft er dem Beleuchter begeistert zu. Dann gehen bei „Dead Friends (Around the Corner)“ die Bühnenlampen wieder an.

Dass sie die Lust am Lärm nicht vollständig aus ihrem Programm verbannt haben, hört man unter anderem in „Unvollständigkeit“, wenn eine in großer Höhe angebrachte Wanne voller Metallstäbe per Seilzug ausgekippt wird oder U.N. Unruh und sein Schlagwerkkollege Rudolf Moser Stahlplatten, Plastikkanister und -rohre und vielerlei andere Gegenstände bearbeiten. Oder auch feine, leise Klangmalereien auf motorbetriebenen Turbinenscheiben betreiben. Die unkonventionelle Art, in der Jochen Arbeit seiner Gitarre Klänge entlockt, fügt sich in die Orchestrierung der Alltagsgegenstände wunderbar ein. Und auch Felix Gebhards Keyboardspiel, das durchaus auch mal den Himmel voller Geigen zaubert.

Zwischen den Stücken fielen Bargeld, der bis 2003 an der Seite von Nick Cave auch Gitarrist und Klangtüftler bei den Bad Seeds war, ein paar alte Geschichten ein, zum Beispiel von einem schlammigen halbhohen Kellerraum im Hamburger Hafen, worin er sich mit einer Gitarre und Verstärker verkrochen hatte. Die Aufnahmen hat er später – zerstückelt und neu zusammengesetzt – endlich verwenden können. „So treffen sich der alte und der neue – oder der junge – Blixa Bargeld“, bemerkte er.

Zwei Zugabenblöcke spielten die Neubauten vor dem begeisterten Publikum, nachdem sie den offiziellen Teil mit „How Did I Die“ nachdenklich abgeschlossen hatten. Neben „Silence is Sexy“ noch „Die Interimsliebenden“, „Total Eclipse of the Sun“, „Ein leichtes Säuseln“ und das großartige „Redukt“.

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