Tennismeisterin Cathrin Shalev in Israel Eine Mutter in Israel mit deutschem Pass

In ihrem ersten Leben war sie deutsche Tennismeisterin. In ihrem zweiten Leben arbeitet Cathrin Shalev dafür, dass Deutsche und Israelis mehr voneinander wissen.

 Ihr langes, blondes Haar trägt die ehemalige deutsche Tennismeisterin heute wie ein Statement.

Ihr langes, blondes Haar trägt die ehemalige deutsche Tennismeisterin heute wie ein Statement.

Foto: Michal Fattal

Sie meint das nicht politisch, sondern auf das Wetter bezogen: „Dunkeldeutschland“ sagt Cathrin Shalev, wenn sie von ihrer alten Heimat spricht. Von der Terrasse ihres Hauses in Haifa hoch in den Karmelbergen, umgeben von Pinien und Palmen, blickt sie aufs Mittelmeer. „Ich liebe die Sonne und die See, in Israel habe ich beides. Meinen Freunden in Deutschland sage ich immer: Wir leben genauso wie ihr, nur besser.“

Viele dürften stutzen, wenn sie das hören. Besser? 2006, während des Libanonkriegs, packte Cathrin Shalev, geborene Lippert, ihre drei Söhne und flog ins friedliche Deutschland. In jenem Sommer prasselten die Raketen der Hisbollah auf Haifa nieder, während die Mutter mit den Kindern die erste Woche in Todesangst im Keller saß. In Israel leben heißt für sie im Zwiespalt leben. Das hängt auch mit ihrer deutschen Herkunft zusammen: „Ich mochte nie sagen, dass ich Deutsche bin. Es war mir unbehaglich.“

Der Liebe wegen zog sie nach Israel

Ihre künftigen Schwiegereltern ahnten, was der jungen Frau aus Bad Oldesloe bevorstehen würde, die 1990 der Liebe wegen nach Israel zog. Sie waren „Jeckes“, wie die deutschsprachigen Juden in Israel genannt werden, die vor den Nazis nach Palästina geflohen waren. Sie standen im jungen jüdischen Staat unter Generalverdacht, keine wahren Zionisten zu sein und sich nach ihrer alten Heimat zu sehnen. „Meine Schwiegermutter hat bis an ihr Lebensende RTL geguckt und ist in jedem Jahr für einen Monat in die Schweiz oder nach Deutschland in den Urlaub gefahren. Sie liebte die europäische Eleganz.“

Auch das Deutsch der „Jeckes“, die Sprache der Täter, war im Land der Holocaust-Opfer nicht gelitten. „Man sprach es unter der Hand, im stillen Kämmerlein, nicht öffentlich.“ Cathrin Shalev erlebte, wie Nationalität plötzlich wie eine Hautfarbe war, die man gern abschrubben würde, aber nie loswird.

Neben der Auschwitz-Überlebenden auf der Schulbank

In ihrem früheren Leben war sie mehrfache deutsche Jugendmeisterin im Tennis gewesen, spielte in der Nationalmannschaft. Trotzdem, sagt sie, habe sie sich nicht als Deutsche gefühlt. Als sie 1982 bei einem Turnier erstmals die Nationalhymne singen sollte, konnte sie nicht einmal den Text.

Erst in Israel wollte man ständig von ihr wissen, woher sie komme. „Ich war dann immer zickig, hab‘ geantwortet, ich sei international. So war ich in Deutschland aufgewachsen.“

Ihren ersten Schock erlebte sie im Hebräischkurs. Monatelang saß sie neben einer über 80-jährigen Mitschülerin – ahnungslos, wie die heute 51-jährige Shalev eingesteht. Als die Sprachfreundin nach dem Winter erstmals ohne Jacke kam, entdeckte sie die kleine Tätowierung auf dem bloßen Arm. „Als ich begriff, dass sie eine Auschwitz-Überlebende war, war das, als ob man mir ein Messer in den Bauch gestoßen hätte.“ Sie fühlt diesen Stich bis heute.

Zweisprachig in Israel

Für ihre Söhne, die in den 90er Jahren geboren wurden, verschärfte sich der innere Konflikt. Andere Kinder hänselten sie. Mit drei Jahren kam der Älteste aus dem Kindergarten und erklärte, dass er nicht mehr Deutsch sprechen wollte: „Ich will nicht anders als die anderen sein.“ Shalev konnte ihn überzeugen, dass das keine gute Idee sei, weil er dann nicht mehr zu den Großeltern nach Deutschland fahren könnte. Der zweite wollte mit neun Jahren wissen: „Was war mit Opa und Oma im Holocaust?“

„Ich verstand, es ging nicht um die Großeltern, sondern um das Deutschsein. Es beschäftigte sie.“ Die Folge: Bis heute bedeuten sie ihrer Mutter, im Beisein von Freunden lieber nicht Deutsch mit ihnen zu reden. Es tut ihr weh. „Für meine Eltern ist das schwer. Denn die Enkel haben nie richtig Deutsch gelernt. Eine tiefergehende Unterhaltung ist mit ihnen auf Deutsch nicht möglich.“

Cathrin Shalev selbst wäre es nie in den Sinn gekommen, ihr Deutschsein aufzugeben. „Das wäre für mich furchtbar.“ Ihren deutschen Pass hat sie behalten, sie ist binational. Ihr langes, blondes Haar trägt sie heute wie ein Statement, als wollte sie ihrem Gegenüber bekunden: Ich bin nicht von hier. Ihre großen blauen Augen unterstreichen das. Dabei hat sie viel getan, um sich anzupassen.

Cathrin Shalev spricht perfekt Hebräisch – ihre sechste Fremdsprache. Sie ist Jüdin geworden – eine Voraussetzung, wenn man in Israel heiraten will. „Ich hatte kein Problem damit, meine Religion bedeutete mir nichts.“ Viele Regeln im Judentum, die mit Hygiene zu tun haben, findet sie einleuchtend: „Zum Beispiel, dass Früchte wie Bohnen, Erbsen oder Kirschen nach der Ernte auf Ungenießbares untersucht werden müssen.“

Jeden Freitag wird gekocht, gelacht, geklönt

Sie schätzt es, dass die Israelis den Zusammenhalt in der Familie und zwischen Freunden groß schreiben. „Hier lässt dich niemand im Stich.“ Und sie liebt den Schabbat. Auch wenn sie und ihr Mann Zeev nicht religiös sind, trifft man sich jeden Freitagabend im großen Kreis, es wird gemeinsam gekocht, gelacht, geklönt. Auch die inzwischen erwachsenen Söhne genießen das. Und was ist mit Terror und Krieg, die als ständige Gefahr über Israel schweben? „Wenn ein Krieg vorbei ist, ist er vorbei.“ Man kann das Lebens- oder Verdrängungskunst nennen.

Die Lösung, wie sie mit dem inneren Spagat fertig wird, hat sie über Umwege gefunden. Cathrin Shalev, die Touristik studiert hatte, fing an, israelischen Jugendlichen in den Ferien Deutschunterricht zu geben. Unterstützung erhielt sie vom österreichischen Staat, vom Goethe-Institut und von der deutschen Botschaft.

Die 2007 gestartete Initiative hatte solchen Erfolg, dass sie ihre eigene Sprachenschule, das „Zentrum für deutsche Sprache und Kultur“ aufbaute. Wo sie konnte, rührte sie die Werbetrommel, verteilte Flyer, sprach mit Bürgermeistern und Schuldirektoren. „Israelis wissen viel zu wenig von Deutschland, und was sie wissen, beschränkt sich auf den Holocaust“, erklärt Shalev.

Großes Interesse an deutscher Kultur

Heute lernen ihre Schüler, was Dresdner Christstollen und Nürnberger Rostbratwürstchen sind, dass Heinrich Heine das „Wintermärchen“ schrieb, der Film „Good Bye, Lenin!“ eine ernste Komödie über die zweite deutsche Diktatur ist und was die Musik von Johann Strauss Vater von der seines Sohnes unterscheidet. Inzwischen unterrichtet sie in zwölf Kursen etwa hundert Schüler im Alter zwischen 13 und 88 Jahren.

Ein halbes Jahrhundert, nachdem Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen aufnahmen, ist das Interesse an deutscher Gesellschaft, Kultur und Politik in Israel überraschend groß. Auch das „Zentrum für Deutschland- und Europastudien“, das der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) an der Universität Haifa eingerichtet hat, beweist das. Bewusst befasst man sich dort vor allem mit der Zeit nach 1945. Für Cathrin Shalev hat es sich glücklich gefügt, dass sie bei seinem Start 2007 auch hier die administrative Leitung übernehmen durfte.

Doppelte Staatsangehörigkeit als Luxus

Das Leben in Israel sei eine „tägliche Herausforderung“, gibt sie zu. „Aber wahrscheinlich habe ich das immer gesucht. Ich bin der Typ: Je schwieriger, desto interessanter“, sagt sie. Mit ihrem Mann, der einen Pizza-Dienst für Krankenhäuser betreibt, diskutiert sie auch kontrovers über den israelisch-palästinensischen Konflikt. „Eine kritische Sicht auf Israel können Israelis nicht so gut vertragen.“ Sie weiß, dass sie als Israelin mit deutschem Pass eine „Luxusstellung“ einnimmt, wie sie sagt, weil sie eine „Ausweichmöglichkeit“ habe. Für Israelis hingegen gehe es um die „ureigene Existenz“.

Etwas hat sie in all den Jahren schon bewegen können: Ihr mittlerer Sohn, der gerade den Militärdienst beendet hat, spielt mit der Idee, für eine Weile nach Deutschland zu gehen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort