40 Jahre Zirkus Roncalli Ein Clown schreibt Zirkusgeschichte in Bonn

BONN · Roncalli. Der Name war gut gewählt. Auch sonst hat der Zirkusgründer Bernhard Paul in 40 Jahren mit Seifenblasen, Poesie und Edelkitsch vieles richtig gemacht. Doch der Wahlkölner musste auch durch ein tiefes Tal. Ab dem 7. Mai spielt sein Zirkus wieder mitten in Bonn.

Wie ein kühner Adlerhorst thront die Benediktinerabtei Montserrat 700 Meter über dem Mittelmeer in der Gipfelmulde der katalanischen Küstenberge. Die Mönche legen seit jeher viel Wert auf ihre Kirchengesänge. Ihr berühmter Knabenchor ist seit dem Jahr 1307 urkundlich belegt. Nichts würde man in dieser sakralen Umgebung weniger erwarten als einen Clown. Als Fulgensi Mestres Bertram, der Sohn einer Kiosk-Besitzerin aus Vilafranca del Pendes, ab 1973 mit den anderen Jungen täglich auf dem heiligen Berg fährt und pünktlich um 13 Uhr das Marienlied Virolai anstimmt, ist daran auch nicht zu denken. Aber der Chor legt den Grundstein zur späteren Gesangs- und Theaterausbildung.

Bernhard Paul, der sich fast zeitgleich 1976 im fernen Bonn anschickt, die Zirkusgeschichte um ein entscheidendes Kapitel zu bereichern, erledigt den Rest und holt Gensi schließlich in die Manege. Vier Jahrzehnte später ist der Spanier als Weißclown einer der Stars in Pauls Roncalli-Universum. Er sagt, es sei aber keineswegs seine Aufgabe, die Leute zum Lachen zu bringen.

Geschichten wie diese könnte man viele erzählen rund um das Leben und Werk des Bernhard Paul, der am 20. Mai während des ein Jahr verspäteten Bonner Jubiläumsgastspiels seinen 70. Geburtstag feiert. Poesie und Geschäftssinn, Kunst und Edel-Kitsch, Zuckerwatte und Schwarzbrot lagen nie weit auseinander.

Peter Wierny kann sich noch gut erinnern, wie am 18. Mai 1976 auf der Hofgartenwiese alles begann. Der Bonner Kunsthändler macht damals als Fotostudent Hunderte Aufnahmen der kunstvoll bemalten Wagen und Porträts der Artisten.

Mit dem studierten Grafiker Bernhard Paul kommt Peter Wierny schnell ins Gespräch. Eine Gruppe Handstand-Artisten in wechselnd farbigen Kostümen beeindruckt Wierny damals besonders. „Man kannte so etwas ja von anderen. Aber im dunklen Zelt mit den Scheinwerfern und einer geschickt gewählten Musik war das etwas ganz Besonderes“, schwärmt er noch heute.

„Die größte Poesie des Universums“ – so ist das Programm betitelt, das nach seiner Premiere in Graz im Vorjahr nun beim Bonner Sommer 1976 eingeladen ist und von hier aus auf Tournee geht. Und Poesie gehört seither – immer scharf an der Grenze zum Kitsch – zum Geschäftsmodell.

So nostalgisch ältere Bonner den Start vielleicht in Erinnerung haben: Der erste Anlauf endet in einer Bruchlandung. Paul und sein damals bekannterer Kompagnon André Heller zoffen sich. Heller reist ab. Sein Konterfei auf dem Plakat wird durch ein Kamel ersetzt. Die Poesie des Universums endet im Bankrott.

Der Träumer Paul muss fast alles verkaufen und sich als Kaufhausclown über Wasser halten. „Alles war viel zu teuer“, sagt Wierny. Der lässt in Bonn damals im Auftrag der Zirkusleute 500 Postkarten eines Artistenfotos drucken. Auf sein Geld wartet er noch heute. „Das war für einen Studenten schon blöd. Aber die Freundschaft hat darunter nicht gelitten“, sagt er.

„Als Zirkusmensch muss man das Geld aus dem Fenster schmeißen, dann kommt es durch die Tür wieder rein“, sagt der Roncalli-Prinzipal trotzdem noch heute und zahlt nach eigenen Angaben seinen Star-Clowns auch schon mal 1000 Euro Gage – am Tag. Enttäuscht von seiner Heimatstadt Wien zieht Paul damals 1977 nach Köln, aber seinen Traum vom Zirkus gibt er nicht auf.

Und 1980 startet ein neues, besser aufgestelltes Unternehmen seine Reise zum Regenbogen. Mit Ausgründungen wie dem Historischen Jahrmarkt, Dinner-Shows, dem Apollo-Varieté in Düsseldorf und dem Wintergarten in Berlin – übrigens wieder zusammen mit André Heller – macht der Chef in den folgenden Jahrzehnten immer neue Fässer auf und plant aktuell erneut sein Museum of broken Dreams in Köln. In zwei Jahren solle Eröffnung sein. Aber sein Kerngeschäft bleibt doch der rollende Reise-Zirkus für die großen Städte, der mit Seifenblasen, Konfetti und viel liebevoll gepflegter Nostalgie schon bald zum Liebling der Prominenz aus Politik und Showgeschäft avanciert.

Auch wenn der Herr Direktor, der auch im 41. Jahr der Unternehmensgeschichte noch immer ein striktes Regiment über das Imperium führt, seinen Zirkus selbst als „rollendes Museum“ bezeichnet, hat er dennoch auch 2017 nicht den Blick für neue Trends verloren.

So lässt er im Jubiläumsprogramm zur Gaudi des Publikums den Beatboxer Paul Wicke in der Manege auf Stühlen und Tischen seine groovigen Rhythmen trommeln. Aus Mexiko City holte er den 26-jährigen Marco Antonio Vega, um den Meister des Minenspiels unter seinem Künstlernamen Chistirrin zum neuen Zirkusstar aufzubauen.

Und natürlich hat auch Weißclown Gensi seinen Auftritt. Wenn jemand lachen sollte, kann Gensi – mit Verlaub – freilich nichts dafür.

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