Buch "Besser als Sex ist besserer Sex" Die große Ratlosigkeit und der körperliche Kitzel

Die Journalistin Theresa Bäuerlein und ihr Lebensgefährte Tom Eckert wollen sich nicht mit abnehmender sexueller Neugier abfinden – und beschließen, sich den körperlichen Kitzel zurückzuholen, indem sie alles ausprobieren, was diverse Experten dazu so vorschlagen. Ihr Buch berichtet davon.

 Knisternde Erotik oder grausamer Kitsch - Wie ließe sich über das Thema Sex angemessen reden?

Knisternde Erotik oder grausamer Kitsch - Wie ließe sich über das Thema Sex angemessen reden?

Foto: picture alliance / dpa

Je länger man/ frau einander kennt, um so geringer wird die Neugier aufeinander: Viele Paare kennen das Phänomen, dass Vertrautheit und Erotik sich mit der Zeit auszuschließen beginnen. Auch Theresa Bäuerlein, Journalistin in Berlin, und ihr Lebensgefährte Tom Eckert. Sie wollen sich nicht damit abfinden – und beschließen, sich den körperlichen Kitzel zurückzuholen, indem sie alles ausprobieren, was diverse Experten dazu so vorschlagen. Koitus nach Kalender. Stimulierende Enthaltsamkeit. Einander die geheimen Fantasien erzählen. Offene Beziehung. G-Punkt-Suche mit der online zugeschalteten Erotikberaterin.

Wenn jetzt eine/r kichern möchte, ist das bloß ein neuer Beweis für eine deprimierende Tatsache. Wir behaupten, wir lebten in einer aufgeklärten Zeit (obwohl, was im letzten Jahr passiert ist ... aber egal). Wir lassen Raumsonden auf Kometen punktlanden und quetschen die ganze Welt in eine tragbare Glasscherbe mit Telefonanschluss. Nur was den Umgang miteinander im Bett betrifft, herrscht die Große Ratlosigkeit.

Was wir täglich auf allen Kanälen dazu hören, ist kein Gespräch, sondern Geplapper und beschränkt sich meist auf Alptraumklischees zwischen rosa Hoch-zeiten und farblosen Shades of Grey. Kein Wunder: Wie ließe es sich über dieses Lebensfeld auch angemessen reden, wo es im Deutschen doch nicht mal angemessene Vokabeln dafür gibt (sondern nur kalt-medizinische, brutal-vulgäre oder kindisch-alberne)?

Bäuerlein und Eckert stellen sich dem Problem mit neugierigem, mutigem und verliebtem Eifer. Der Untertitel („Ein Paar – Ein Jahr – Ein Experiment“) führt dabei in die Irre: Das Buch hat mit Grenzüberschreitung nichts zu tun, liest sich (wo nötig) dezidiert, aber sachlich, nicht voyeuristisch. Statt Porno ist dies Protokoll, und zwar viel eher über Gedanken als über Erlebnisse.

Wie schon in früheren Bäuerlein-Büchern kommt das mit viel Hintergrundwissen und kluger Beobachtung der Selbst- und Außenwelt daher, die beide Welten nicht schont (etwa die offene Beziehung: Der Leser erfährt aus Bäuerleins Biografie, wie sehr das bei ihr schiefging). Dazu gehört, von vorgefassten Meinungen abzugehen (das nämlich ist Aufklärung!) – und so erfahren Theresa und Tom am Ende, dass weniger auch mehr sein kann.

Das wichtigste Sexualorgan des Menschen ist das Gehirn, sagen Wissenschaftler. Bäuerleins und Eckerts Buch zeigt, dass das stimmt: Es beschreibt eine sexuelle Erfahrung, die im Kopf stattfindet. Wie da zwei Menschen, die einander emotional überaus nahe stehen, sich auch körperlich wiederfinden, ist ein lesenswertes Beispiel für ein persönliches Kapitel des individuellen Erwachsenwerdens – jenen mysteriösen Prozess, der nicht mit dem 18. Geburtstag aufhört, sondern erst mit dem Todestag.

Heyne-Tb., 253 S., 8,99 Euro

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