Von Armani bis Prada Die Welt des Peter Lindbergh

Köln · Alles außer Hochglanz: In einem prachtvollen Bildband zieht der im Ruhrgebiet aufgewachsene Fotograf eine Bilanz seines Schaffens

 Tina Turner in luftiger Höhe über Paris („Stern“, 1989).

Tina Turner in luftiger Höhe über Paris („Stern“, 1989).

Foto: PETER LINDBERGH, PARIS/GAGOSIAN GALLERY

"Wäre ich in Venedig zur Welt gekommen, wäre es anders gewesen.“ Doch Peter Lindbergh, 1944 in Lissa geboren, wuchs im geschundenen Ruhrgebiet der Nachkriegsjahre auf. Diese unretuschierte, raue Welt findet man in seinen Schwarzweißbildern wieder, die den Rahmen herkömmlicher Modefotografie sprengen. Der Bildband „Peter Lindbergh – A Different Vision on Fashion Photography“ sowie zwei museale Retrospektiven ziehen nun gewissermaßen die Summe seines Werks.

Ob er für Armani, Gucci, Chanel oder Prada, für Karl Lagerfeld oder Tom Ford arbeitet, stets ist ihm das Model wichtiger als die Marke. Als er 1988 Linda Evangelista, Karen Alexander, Christy Turlington, Estelle Lefébure, Tatjana Patitz und Rachel Williams in schlichten weißen Hemden am Strand von Malibu herumtollen ließ, reagierte die „Vogue“-Chefin entsetzt. Und verpasste die Geburtsstunde der „Supermodels“...

Nachfolgerin Anna Wintour machte es besser: Sie hob Lindberghs Straßenfoto von Michaela Bercu aufs Cover, auf dem die Schöne mit halb geschlossenen Augen am Betrachter vorbeiblickt und edle Haute-Couture (Lacroix) mit einer ausgewaschenen Jeans mischt. Lindbergh schubst die Mode mitten ins Leben, wenn Yasmin Le Bon in Paris zwar mit Azzedine-Alaïa-Klamotten, aber auch mit Zigarette und Baguettes übers nasse Pflaster geht.

Aber der Lichtbildner, der russisches Ballett, den deutschen Expressionismus, die Bilder der Neuen Sachlichkeit und den Film Noir verehrt, kann eben auch inszenieren: Models vor gigantischem „Metropolis“-Räderwerk, Naomi Campbell als Josephine Baker, Kristen McManamy als Nijinsky. Und wenn Marie-Sophie Wilson mit Rotwein und Zigarette im Bistro sitzt, könnte die Szene von Marcel Carné stammen.

Überhaupt, Filme: Hitchcocks „Vögel“ lassen grüßen, und den „Engel über Berlin“ leiht er sich vom Freund Wim Wenders mal eben für einen Fernflug nach New York aus. Derweil flieht Milla Jovovich, elegant in Prada, mit gezogener Knarre so durch die Wüste, als ob Quentin Tarantino hinter der Kamera stünde.

Makelloser Hochglanz hat Lindbergh nie interessiert. Aber Charakter, Stärke, aparte Eigenwilligkeit wie bei Kate Moss, die in androgyner Pose das Cover ziert. „Sie ist einfach die coolste Person der Welt. Sie ist weder groß noch umwerfend schön, gemessen am Mainstream-Ideal, aber wozu auch?“

Zwar hatte er nach der Schulzeit bei Karstadt und Horton Schaufensterpuppen angezogen, doch gerade das bloß Dekorative ließ er bald hinter sich. Ihn reizen schroffe Kontraste: Anna Mouglalis lehnt am Holzpfahl im verlotterten Coney Island, während Stella Tennant ihr Gucci-Gewand in einem Londoner Billigbasar spazieren führt.

Immer wenn man Peter Lindbergh bei einem optischen Klischee zu ertappen meint, bricht er dieses: Nadja Auermann im pitschnassen Jil-Sander-Kleid ist eben nicht nur „radical chic“ sondern eine poetische Hommage an „Singin' in the Rain“. Und mag die Branche dem Jugendwahn frönen, feiert dieser Meister auch die verlebte Schönheit im Gesicht von Jeanne Moreau.

Peter Lindbergh, Thierry-Maxime Loriot: Peter Lindbergh. A Different Vision on Fashion Phot5ography. Taschen, 470 S., 59,99 Euro. Unter gleichem Titel zeigt die Kunsthal Rotterdam eine Ausstellung bis 12. Februar. Es folgt „Peter Lindbergh – From Fashion to Reality“ (13. 4. - 27 .8.) in der Kunsthalle München.

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