ESC 2016: Deutschland wieder auf dem letzten Platz Die Suche nach den Gründen für Jamie-Lees Scheitern

Stockholm · Elf Punkte und mit Abstand auf dem letzten Platz - der diesjährige Eurovision Song Contest wurde für Deutschland erneut zum Desaster. Doch woran lag es, fragt sich nicht nur GA-Redakteur Michael Wrobel in Stockholm.

War es das ausgefallene Manga-Outfit, der Song oder spielt die Politik doch eine allzu große Rolle? Nach dem desaströsen Abschneiden von Jamie-Lee beim ESC in Stockholm wird bereits wild über die Gründe des Scheiterns diskutiert. Eins steht fest: Jamie-Lee hat sich nicht versungen und ist bei ihrem Auftritt auch nicht gestürzt. Solche Gründe kommen also nicht infrage.

Der in der ARD für den Wettbewerb verantwortliche Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber hat bereits eine Erklärung parat: Das ungewöhnliche Outfit der 18-Jährigen sei für den Flop verantwortlich. "International und beim Publikum in allen Altersschichten ist es offenbar eher auf Unverständnis gestoßen, dass ein Manga-Mädchen aus Deutschland antritt", erklärte Schreiber einige Stunden nach dem ESC-Finale. Wir erinnern uns: Gerade dieses gewisse Etwas hatten die deutschen ESC-Verantwortlichen im Vorfeld noch als Besonderheit rausgestellt. Jamie-Lee habe aber das gesamte Team der ARD zumindest "sehr beeindruckt", so Schreiber.

Wenn man sich in den Tagen vor dem großen Finale in Stockholm umgesehen hat, hätte man durchaus auch auf einen Sieg von Jamie-Lee kommen können. Denn die ausgefallenen "Manga-Öhrchen", Jamie-Lees Markenzeichen, gehörten in Stockholm schon zum Stadtbild dazu. Etliche, auch internationale, Fans waren mit der Kopfbedeckung in der Pappversion oder selbst gebastelt unterwegs. Die deutsche Delegation hatte die Papp-Öhrchen im Vorfeld zig Mal unters Volk gebracht und so noch auf dem letzten Metern die Werbetrommel für Jamie-Lee gerührt.

Denn das war auch dringend notwendig: Während die anderen Kandidaten in den Monaten vor dem ESC bei internationalen Auftritten Sympathiepunkte gesammelt hatten, war Jamie-Lee eigentlich fast ausschließlich in Deutschland aufgetreten, etwa beim Echo. Die Schülerin hatte sich zudem auf die Produktion ihres Albums konzentriert. "Man muss zudem bedenken, dass Jamie-Lee vor kurzem erst 18 Jahre alt geworden ist und vorher einfach auch zu jung war, um ein solches internationales Auftrittspensum zu absolvieren", sagte Carola Conze, die deutsche ESC-Delegationsleiterin, bei einer Pressekonferenz am Vorabend des ESC-Finales. Doch die ESC-Gemeinde will ihre Kandidaten auch im Vorfeld erleben. Die Abwesenheit von Jamie-Lee haben ihr viele vielleicht nicht verziehen.

Andere Beobachter machen den melancholischen Song für das schlechte Abschneiden verantwortlich. Das Lied "Ghost" war nicht extra für den ESC komponiert worden. Jamie-Lee war mit dem Lied bereits im Finale von "The Voice of Germany" angetreten - und hatte dort auch gewonnen. Und auch im deutschen Vorentscheid konnte sie sich mit "Ghost" behaupten. In Stockholm dagegen lief sie mit dem Song ins Leere. "Bei diesem Lied kommt einfach keine Konfetti-Stimmung auf", hatte ein britischer Journalist im Pressezentrum während des Auftritts von Jamie-Lee gesagt.

Doch Gute-Laune-Stimmung scheint auch nicht wirklich die Voraussetzung für einen Sieg beim ESC zu sein. Denn der Sieger-Song "1944" von Jamala aus der Ukraine handelt von der Vertreibung ihrer Minderheit unter Sowjetdiktator Josef Stalin - und hat damit ein äußerst ernstes Thema.

Wiederum andere ESC-Experten meinen darin den Hauptgrund für Jamie-Lees letzten und Jamalas ersten Platz gefunden zu haben: Es gehe eben doch um Politik beim ESC. Jamala besingt in "1944" die Deportation der Krimtataren unter Stalin. Die Krimtataren hatten wegen dieser Erfahrung auch gegen die Annexion der Krim im Jahr 2014 protestiert - und bekommen seitdem Moskaus Härte zu spüren. Jamalas Lied hatte bereits im Vorfeld des ESC in Russland Kritik ausgelöst. Votierten deshalb so viele Länder für die Ukraine? Doch auch Russland erhielt aus Europa reichlich Punkte und landete am Ende hinter Australien auf dem dritten Platz.

Bemerkenswert: Während sich die Länderjurys von Russland und der Ukraine keinen einzigen Punkt gaben, sah das Televoting ganz anders aus: Die russischen Zuschauer schickten zehn Punkte in die Ukraine, die ukrainischen gaben gar die Höchstpunktzahl, also zwölf Punkte, an den Russen Sergey Lazarev - und stimmten damit vergleichbar wie das übrige Europa ab.

Eins ist sicher: In den kommenden Tagen werden werden weitere Gründe für Jamie-Lees Scheitern aus dem Hut gezaubert.

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