Vom IS zerstörte Ruinenstätte Nimrud Die Spur der Verwüstung

In der assyrischen Ruinenstätte Nimrud wird das Ausmaß der vom IS angerichteten Zerstörung nach der Vertreibung der Terroristen jetzt deutlich. Eine Rekonstruktion der gesprengten Anlage scheint möglich, aber schwierig.

 Eine originalgroße Rekonstruktion der Stier-Figur aus der alten assyrischen Hauptstadt Nimrud (Irak), aufgenommen am 06.10.2016 in der Ausstellung „Wiedererstehen aus Zerstörung“ im Kolosseum in Rom (Italien). Einst hütete der mehrere Meter große geflügelte Stier den Thronraum von König Assurnasirpal II. (883-859 vor Chr.). Im Jahr 2015 wurde die monumentale Skulptur vom IS zerstört.

Eine originalgroße Rekonstruktion der Stier-Figur aus der alten assyrischen Hauptstadt Nimrud (Irak), aufgenommen am 06.10.2016 in der Ausstellung „Wiedererstehen aus Zerstörung“ im Kolosseum in Rom (Italien). Einst hütete der mehrere Meter große geflügelte Stier den Thronraum von König Assurnasirpal II. (883-859 vor Chr.). Im Jahr 2015 wurde die monumentale Skulptur vom IS zerstört.

Foto: picture alliance / dpa

Ende November wurde die 30 Kilometer südöstlich von Mossul gelegene antike Stadt Nimrud von der irakischen Armee aus dem Griff der Terrormiliz „Islamischer Staat“ befreit. Die Dschihadisten hatten in der archäologischen Stätte schon 2015 gewütet. Daher war es für die Befreier keine große Überraschung, auf verheerende Zerstörungen zu stoßen. Über deren tatsächliches Ausmaß wie auch die Folgen für die Forschung jedoch herrscht momentan noch keine Klarheit.

Nimrud (auf Assyrisch „Kalhu“) ist eines der wichtigsten Zeugnisse der neuassyrischen Kultur. Bedeutung erlangte der Ort, als König Ashurnasirpal II. (er regierte von 883 bis 859 vor Christus) ihn zur Hauptstadt seines expandierenden Reiches machte, das sich von Mesopotamien bis nach Kleinasien und Syrien erstreckte.

Die Stadt selbst nahm eine Fläche von rund 360 Hektar ein, von der bis heute nur ein kleiner Teil im Süden erforscht ist: vor allem die mehrere Bauten umfassende Zitadelle, die bereits 2015 dem IS-Vandalismus zum Opfer fiel. Dort hatten irakische Archäologen in der Spätphase des Saddam-Regimes Teile des imposanten Nordwestpalastes rekonstruiert, was der Zerstörungswut des IS breite Angriffsflächen bot.

Die neuesten Aufnahmen lassen jedoch vermuten, dass die Dschihadisten zwar den Mittelteil des Bauwerks sprengten. Inwieweit aber die benachbarten Palasträume in Mitleidenschaft gezogen sind, steht noch nicht fest. Von den Terroristen wurde zuletzt auch der obere Aufbau der „Zikkurat“, der Tempel-Stufenpyramide im Norden der Zitadelle, mit Baggern planiert – ein zwar unwiederbringlicher Verlust, den aber der Tübinger Archäologe Peter Pfälzner, der schon länger weiter nördlich im autonomen Kurdengebiet gräbt, im Gespräch relativiert: Der gut erforschte Lehmziegelbau sei stark erodiert und nicht so bedeutend gewesen.

Weit schwerer wiegt die Zerstörung der Reliefdarstellungen im Palast von Ashurnasirpal II. Wie einer aktuellen Liste des digitalen Dokumentationsprojekts „Cuneiform Digital Library Initiative“ (CDLI) zu entnehmen ist, das von amerikanischen, englischen und deutschen Wissenschaftlern betrieben wird, befanden sich in Nimrud vor den Verheerungen noch weit über 200 Originalreliefs.

Allerdings waren bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die prächtigsten noch erhaltenen Reliefplatten – etwa drei Dutzend vom Mittelteil des Nordwestpalastes, hauptsächlich mit Kriegsdarstellungen und geflügelten Geniusfiguren – durch den britischen Archäologen und Nimrud-Erst-Erforscher Austen Henry Layard nach England verbracht worden, wo sie heute im British Museum ausgestellt sind.

Im Hinblick auf die mögliche Wiederherstellung des Zustands vor der Zerstörung ist die Archäologin Simone Mühl von der Universität München der Meinung, dass sich manches aus den Trümmern durchaus wieder rekonstruieren ließe – etwa aus den über das Areal verstreuten Bruchstücken der Steinreliefs und Skulpturen.

Anders jedoch als die Fragmente, die Folge der Sprengungen seien und die man nach und nach zusammensetzen könnte, würden die mit dem Schlaghammer malträtierten Reliefplatten nur anhand von Detailfotos zu rekonstruieren sein – hier können eventuell die rund 2000 Aufnahmen von Nutzen sein, die die in Kalifornien lebende deutsche Archäologin Klaudia Englund in den neunziger Jahren in Nimrud gemacht hat. Die Fotos beabsichtigt die am CDLI-Projekt mitwirkende Wissenschaftlerin sukzessive ins Internet zu stellen.

Die realen Möglichkeiten für einen Wiederaufbau der zerstörten Anlage sieht die Münchner Archäologin Simone Mühl, die derzeit im Nordirak eine Ausgrabung leitet, eher skeptisch. Die unklare Sicherheitslage könnte ein Hindernis für eine fachgerechte Analyse des entstandenen Schadens sein. Eine solche wäre ohnehin langwierig, da jedes Steinfragment kartiert und kategorisiert werden müsse, um eine Zuordnung der versprengten Fragmente zu ermöglichen. Dann würde sich auch herausstellen, ob der IS die archäologischen Schätze von Nimrud, die er in seinen Propagandavideos vorführte, auch tatsächlich zerstört habe, oder ob sie nicht vielleicht von den Terroristen weggebracht wurden, um veräußert zu werden.

Die Münchner Expertin sorgt sich zudem über eventuelle vorschnelle, unprofessionelle Aufräumarbeiten: Diese könnten im Extremfall mehr schaden als nützen. Ihre Befürchtung wird durch die aktuellen Vorgänge im Irak zusätzlich genährt. Gerade hat der stellvertretende irakische Kulturminister Qais Rashid, der auch für Archäologie zuständig ist, in Bagdad verkündet, dass man bereits damit begonnen habe, in Nimrud die versprengten Fragmente zusammenzutragen.

Gleichzeitig ließ der Vizeminister auch wissen, dass er bereits dabei sei, eine internationale Konferenz in der irakischen Hauptstadt zu organisieren, auf der Rekonstruktion und Wiederaufbau der archäologischen Stätte erörtert werden sollen.

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