60 Jahre Deutscher Presserat Die Hüter des Wortes

Bonn · Vor 60 Jahren wurde in Bonn der Deutsche Presserat gegründet. Er wacht über die Pressefreiheit und ethische Standards – unbeirrt von mancher Fehlentwicklung in den „Sozialen Medien“.

 Journalismus hat mit Verantwortung zu tun. Wenn die Presse Grenzen überschreitet, meldet sich der Presserat. Am 20.November 1956 wurde das Gremium im Bonner Hotel „Bergischer Hof“ gegründet.

Journalismus hat mit Verantwortung zu tun. Wenn die Presse Grenzen überschreitet, meldet sich der Presserat. Am 20.November 1956 wurde das Gremium im Bonner Hotel „Bergischer Hof“ gegründet.

Foto: picture alliance / dpa

Eine Zensur findet nicht statt. Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. So weit die Kernaussagen in Artikel 5 des Grundgesetzes.

Es war die Erfahrung mit der nationalsozialistischen Diktatur, die dafür sorgte, dass der Parlamentarische Rat 1948/49 so viel Wert auf jene dezidierten Sätze legte, die knapp 70 Jahre später leichtfertig als selbstverständlich überlesen werden könnten.

So unmissverständlich die Formulierung in der Verfassung, so kurz die Zeit, bis die Pressefreiheit wieder heftig diskutiert wurde. Am 20. November 1956 schlossen sich im Hotel „Bergischer Hof“ am Münsterplatz – heute werden dort Wohnaccessoires verkauft – fünf Verleger und fünf Journalisten zusammen, um mit einem freiwilligen Gremium zu verhindern, dass der Staat die Print-medien durch ein Bundesgesetz kontrolliert.

Für die Initiatoren stand damals fest, dass Pressefreiheit nicht möglich sei, wenn der Staat ein Eingriffsrecht habe. „Der Deutsche Presserat will als repräsentative Gesamtvertretung der deutschen Presse ein freies Organ zur Verteidigung und Wahrung der Pressefreiheit sein und gleichzeitig über die Einhaltung der Grenzen der Pressefreiheit wachen“, beschrieb Gründungsmitglied und Journalist Rupert Giessler 1956 die Aufgaben des neugegründeten Gremiums.

Bis 2009 behielt es seinen Sitz in der ehemaligen Bundeshauptstadt; seit vielen Jahren ist auch der Verleger und Herausgeber dieser Zeitung in verschiedenen Funktionen aktiv im Presserat engagiert.

Zwei Ziele sind es, die das Gremium, bestehend aus Vertretern der vier großen deutschen Verleger- und Journalistenverbände, seit seiner Gründung im Wesentlichen verfolgt: die Lobbyarbeit für die Pressefreiheit in Deutschland und das Bearbeiten von Beschwerden aus der Leserschaft. Gerade der zweite Aufgabenbereich hat dem Presserat das Ansehen als wichtigstes Korrektiv in der Medienlandschaft verliehen.

Angesichts der beschränkten Sanktionsmöglichkeiten sehen andere die Einrichtung als zahnlosen Tiger an. „Hinweise“, „Missbilligungen“ und „Rügen“, so heißen – in der Reihenfolge ihrer Steigerung – seine Mittel gegenüber Redaktionen, die nach Überzeugung des Presserates gegen den Pressekodex verstoßen haben.

Jener Normenkatalog ist deutlich jünger als das Gremium selbst. 1973 formulierten die Verleger und Journalisten den Kodex als Sammlung ethisch-publizistischer Grundsätze. „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse“ – mit diesen Worten formuliert das Schriftstück eingangs den hehren Anspruch.

Schärfstes Schwert ist also nicht etwa Zensur oder Geldstrafe, sondern die öffentliche Rüge. Anders als Hinweis oder Missbilligung, so regelt es die freiwillige Übereinkunft, muss die Rüge von dem betreffenden Medium abgedruckt werden.

Mit mehr als hundert Beschwerden hatte es der zuständige Beschwerdeausschuss zu tun, als er Mitte September 2016 turnusgemäß zusammenkam. Das Ergebnis der jüngsten Sitzung: Drei öffentliche Rügen, zwölf Missbilligungen und 32 Hinweise. Bei den öffentlichen Rügen traf es – wie so oft – verschiedene Veröffentlichungen aus dem Haus der „Bild“-Zeitung. Konkret ging es um die Veröffentlichung von Fotos, auf denen Opfer des Münchener Terroranschlags zu sehen waren. „Wurden sie in den Tod gelockt?“ – so hatte etwa die „Bild am Sonntag“ eine Bildergalerie betitelt.

Als zulässig hingegen bewertete der Ausschuss die Darstellung des Täters mit Name und Foto. Die Tat in München habe ein großes öffentliches Interesse ausgelöst und Fragen nach dem Motiv und nach den Hintergründen aufgeworfen, heißt es in der Begründung. Das öffentliche Interesse am Täter sei mithin höher zu bewerten als der Schutz der Persönlichkeit, zudem sei die monierte Darstellung „presseethisch akzeptabel“ gewesen, urteilte der Ausschuss. Gleiches entschied er mit Blick auf drei Beschwerden über den Anschlag bei Würzburg.

Auch Sensationsfotos oder verschwimmende Grenzen zwischen redaktionellen Texten und Werbung können dem Presserat Anlass für Rügen bieten. Dass es im September wieder einmal die „Bild“ gewesen ist, die den Beschwerdeausschuss zum Handeln veranlasst sah, ist keine Überraschung. Mit keiner anderen Zeitung befasst sich der Rat häufiger, und keine zieht mehr Beschwerden auf sich als das Boulevardblatt aus dem Axel-Springer-Verlag.

So mussten auch die scharfen Worte nicht verwundern, die jüngst Tanit Koch, seit Januar Chefredakteurin der „Bild“, gegen den Presserat auffuhr. Dabei ging es um die Entscheidung des Gremiums, seine Richtlinien zur Erwähnung der Täterherkunft in Medienberichten nicht zu ändern.

Damit soll über die „Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten“ im Sinne des Presserates weiterhin nur dann berichtet werden, wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht. „Geht es nach dem Presserat, dann sollen Redaktionen in Deutschland ihre Leser letztlich bevormunden, indem sie ihnen relevante Informationen vorenthalten“, meinte „Bild“-Chefin Koch.

Der Presserat wies den Vorwurf des Verschweigens und der Zensur postwendend zurück. Immer, wenn die Veröffentlichung einer Information die Gefahr diskriminierender Effekte enthalte, sei besonders hohe Sensibilität gefordert, erklärte ein Sprecher und ergänzte: „Wenn Redaktionen Informationen nicht veröffentlichen, weil ihre Bedeutung für das Verständnis gering, die Diskriminierungsgefahr aber hoch ist, handeln sie nicht unlauter, sondern verantwortungsbewusst.“

Allerdings machte das Gremium ebenfalls deutlich: „Der Presserat ist nicht der Vormund von Journalisten und Medien, er gibt mit seinem Kodex lediglich Handlungsorientierungen. Es gibt kein Verbot, die Herkunft von Straftätern oder Tatverdächtigen zu nennen.“ Die unterschiedliche Weise, wie dezidiert beispielsweise über kriminelle Clans mit ausländischen Wurzeln berichtet wird, belegt die Interpretierbarkeit der Richtlinie.

Nach den hundertfachen sexuellen Übergriffen auf Frauen in Köln und anderen Großstädten während der Silvesternacht waren Medien – wie Politiker und Polizei – dafür kritisiert worden, dass sie die zumeist nordafrikanische Herkunft der Tätergruppen zunächst verschwiegen hatten. Verdruckstes Schweigen, so ein Einwand, öffne Raum für Spekulationen und sei somit Wasser auf die Mühlen der Populisten. Selbst der Vorwurf der Vertuschung stand im Raum, und noch heftiger als schon zuvor ging das Gespenst der „Lügenpresse“ um.

Die Selbstreflexion der Medienbranche zu dem Thema dauert an. Und noch ein Dilemma tritt nicht erst seit der Silvesternacht immer häufiger zutage: Während in Zeitungen der Pressekodex ernst genommen wird, hat er in den sogenannten Sozialen Medien offenkundig keinerlei Bedeutung. Den Deutschen Presserat wird dies in seinen Grundsätzen nicht beirren. Am 1. Dezember feiert er in Berlin sein 60-jähriges Bestehen mit einem Festakt.

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