Haus der Geschichte Eine Datenbank für Zeitzeugenberichte

Bonn · Das Bonner Haus der Geschichte baut eine zentrale Datenbank für Zeitzeugenberichte auf. Auch ein eigenes Interviewprojekt entsteht. Aber man müsse sich beeilen, sagt Präsident Hans Walter Hütter.

 Zeitzeugen unter sich: Bundespräsident Joachim Gauck mit Daniela Schadt und Hans Walter Hütter 2012 im Haus der Geschichte .

Zeitzeugen unter sich: Bundespräsident Joachim Gauck mit Daniela Schadt und Hans Walter Hütter 2012 im Haus der Geschichte .

Foto: picture alliance / dpa

Es ist eine beunruhigende Botschaft, wenn ein Historiker sagt, dass ihm die Zeit davonläuft. Hans Walter Hütter, Präsident der Bonner Stiftung Haus der Geschichte, nennt ein Beispiel: Wenn er den deutschen Terrorherbst 1977 mit Zeitzeugenberichten dokumentieren will, wird es schwierig – die damals handelnden Figuren, die um die 40 waren, sind heute möglicherweise in einem „kritischen Alter“. „Man muss sich beeilen“, sagt Hütter, „Arbeit mit Zeitzeugen ist ein brennendes Thema.“ Ein weiteres Beispiel: Vor drei Jahren erinnerten Medien und Ausstellungen an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs im Juli 1914 – harte, bisweilen spröde Erinnerungsarbeit, da die „O-Töne“ fehlten, die Berichte der Zeitzeugen, derer, die dabei waren und Atmosphärisches, Alltägliches zum großen historischen Kontext hätten beitragen können. Geschichte wird lebendig durch lebendige Zeitzeugen – eine Binsenweisheit.

Ein Gang durchs Haus der Geschichte offenbart, wie wichtig persönliche Eindrücke der Zeitzeugen sind, im Berliner „Tränenpalast“, Teil der Stiftung Haus der Geschichte, ist das Biografische gar Leitlinie der Präsentation.

An vielen Orten werden solche Stimmen über die unmittelbare Nachkriegszeit und die 68er-Zeit, RAF-Terror, die DDR-Diktatur und Wendezeit dokumentiert. Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM), Monika Grütters, hat nun die Stiftung Haus der Geschichte beauftragt, Interviews mit Zeitzeugen zu sammeln und diese historischen Quellen in einer zentralen Datenbank für die Forschung und die Öffentlichkeit verfügbar zu machen.

Hütter sieht sich vor einem Berg von Arbeit: Zeitzeugenbestände von rund 50 vom BKM geförderten Institutionen, von den KZ-Gedenkstätten bis zu den SED-Erinnerungsorten, müssen erfasst, inventarisiert, digitalisiert und „sichtbar gemacht werden“, wie er sagt. Keine leichte Aufgabe angesichts von maroden Tonbändern und Super-8-Filmen in prekärem Zustand. Ziel sei es, die Interviews zunächst als historische Quellen in einem „Experten- und Forschungstool“ nutzbar zu machen.

Eigenes Interviewprojekt: Von Herzog bis Seeler

Das Haus der Geschichte verstehe sich als „Servicestelle für die 50 Institutionen“, sagt er. Die Idee, Zeitzeugenberichte zu sammeln, ist nicht neu. Hütter erinnert an die Bewegung der „Oral history“: „Das war in den 1980ern und 90ern der Renner.“ Dass das Material online erschlossen wird, aber ist relativ neu. Das Haus der Geschichte selbst und das Deutsche Historische Museum etwa sammeln derlei Porträts und präsentierten sie sowohl in ihren Ausstellungen als auch im gemeinsamen Geschichtsportal „LeMO“ (Lebendiges Museum Online) im Internet. Die Bonner verfügen über ein eigenes Interviewprojekt, in dem rund 100 Prominente von Roman Herzog und Fritz Pleitgen bis Uwe Seeler zu Wort kommen. „Geschichte wird anregend, wenn sie personifiziert ist“, sagt Hütter.

Berühmteste Beispiele für internationale Zeitzeugenportale sind die vom Regisseur Steven Spielberg gegründete Shoa Foundation, deren Zeitzeugenarchiv zum Beispiel seit 2006 über die Freie Universität Berlin nutzbar ist, sowie die Zeitzeugendatenbank der Hebräischen Universität zu Jerusalem mit 900 Online-Interviews.

Seit 2011 sind die Online-Datenbank „Informationsportal Zwangs-arbeit im NS-Staat“ des Bundesarchivs und das digitale Zeitzeugenarchiv der Freien Universität Berlin miteinander vernetzt. Das Portal umfasst Zeitzeugenberichte sowie europäische Archivbestände aus 13 Ländern sowie Grunddaten zu 3800 KZ-ähnlichen Haftstätten.

Initiative von Guido Knopp und Hans-Ulrich Jörges

Der ZDF-Historiker Guido Knopp und der Journalist Hans-Ulrich Jörges riefen vor acht Jahren die Initiative „Unsere Geschichte – Gedächtnis der Nation“ ins Leben. Nach und nach entstand ein unter anderem von Daimler, Bertelsmann und Google gefördertes Geschichtsportal, das rund 1000 hochinteressante Jahrhundertzeugen auf einem Youtube-Kanal zu Wort kommen lässt. „Persönliche Erinnerungen im Alltag spiegeln den Zeitgeist oft besser wider als große Staatsaktionen“, sagte Knopp bei der Einführung, „zumal, wenn mit den dokumentierten Erlebnissen von Tausenden Menschen repräsentative Bilder entstehen“.

Ende des vergangenen Jahres löste sich der Trägerverein auf, zum 1. Januar 2017 hat die Bonner Stiftung den Bestand übernommen. Eine von vielen Säulen, die Hütter zu einer „gigantischen Zeitzeugenbörse“ zusammenführen will. Eine Bonner Tagung in der zweiten Jahreshälfte soll den Weg dorthin ebnen.

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