Mythos Greta Garbo Die Göttliche

Vor 75 Jahren stand Greta Garbo zum letzten Mal vor einer Filmkamera. Die Schwedin war ihr eigener Mythos, eine unnahbare Ikone, die Sphinx von Hollywood – bis zu ihrem Rückzug mit 36 Jahren.

 Garbos Ausstrahlung voll träger Sinnlichkeit und unergründlicher Melancholie begeisterte (hier 1926 mit Antonio Moreno in „Dämon Weib“).

Garbos Ausstrahlung voll träger Sinnlichkeit und unergründlicher Melancholie begeisterte (hier 1926 mit Antonio Moreno in „Dämon Weib“).

Foto: picture-alliance / obs

Manhattan, irgendwann in den 1960er Jahren. Eine Frau verlässt ihr hermetisch abgeschirmtes Apartment 450 East 52nd Street, New York 22. Eine Dame, elegant gewandet, auffällig unauffällig. Großer Hut, Kopftuch, Sonnenbrille, Handschuhe. Die Lady bricht zu einem ihrer ausgedehnten Spaziergänge auf. Ein paar Geschäftsleute und Gastronomen im edelsten Teil des Big Apple wissen, wer sie ist. Der Mann, der seinen ganzen Mut zusammengenommen hat und ihr jetzt den Weg versperrt, ist sich aber nicht sicher. „Sind Sie Greta Garbo?“

Los Angeles, Culver City, das weitläufige Studiogelände von Metro-Goldwyn-Mayer. Es ist der dritte Oktobertag des Jahres 1941, und der größte Star der MGM betritt am Morgen das Atelier des Studiofotografen Clarence Sinclair Bull. Die makellos schöne Schauspielerin hat soeben die nachträglichen Dreharbeiten zu ihrem neuesten Film „Die Frau mit den zwei Gesichtern“ beendet.

Bull, der seit mehreren Jahren ihr bedeutendster Porträtfotograf ist, soll nun für die Werbekampagne eine Reihe von neuen Aufnahmen anfertigen. Diese Fotos wirken aus heutiger Sicht wie ein Omen. Sie haben die faszinierende Magie der bisherigen, ikonengleichen Abbildungen eingebüßt. Sie sind Standard. Entzauberung.

Es ist der letzte Vorgang in der Produktionskette, die letzte vertragliche Verpflichtung der Künstlerin gegenüber MGM. Für sie sollte es der Übergang zu einer neuen Karrierephase mit reiferen Rollen werden. Tatsächlich wird es jedoch ihr Schwanengesang. Die Komödie „Die Frau mit den zwei Gesichtern“ gerät zum Debakel. Ihr letzter Film. Die Göttliche, wie sie genannt wird, wird niemals wieder vor der Filmkamera stehen und zieht sich im Alter von 36 Jahren aus der Öffentlichkeit zurück.

Stockholm, es ist der 18. September des Jahres 1905. Greta Lovisa Gustafsson erblickt im Krankenhaus des Arbeiterviertels Södermalm das Licht der Welt. Sie ist noch keine 15 Jahre alt, als sie nach kurzer Tätigkeit als Frisörgehilfin im Kaufhaus Paul U. Bergstrøm zu arbeiten beginnt. Das hübsche Mädchen wird bald auch als Modell für die hauseigenen Kataloge und Werbefilme eingesetzt.

Doch Greta zieht es zum Theater. Schon im Alter von sechs oder sieben Jahren, erzählte sie später in einem ihrer seltenen Interviews der Reporterin Ruth Biery von „Photoplay“, habe sie auch bei größter Kälte am Bühneneingang eines Theaters in der schwedischen Hauptstadt ausgeharrt: „Ich hörte sie (die Schauspieler) ihre Rollen in den Inszenierungen spielen, roch die Schminke! Kein anderer Geruch wird mir je so viel bedeuten – niemals.“

1920 wirkt sie als Statistin in ihrem ersten Kinofilm („Der glückliche Ritter“) mit, und im September 1922 wird sie an der Schauspielschule des Dramaten, des Königlichen Schauspielhauses in Stockholm, aufgenommen. Die junge Frau aus der Arbeiterschicht ist die einzige in der Schauspielklasse der renommierten Institution, die keine Oberschule besucht hat.

Bereits ein Jahr später erhält Greta von Star-Regisseur Mauritz Stiller die Hauptrolle der Gräfin Elisabeth Dohna in der Selma-Lagerlöf-Literaturverfilmung „Gösta Berling“. Damit wird die talentierte Nachwuchsschauspielerin nicht nur in Schweden schlagartig bekannt.

Stiller, der sich in seine 22 Jahre jüngere Elevin verliebt, verpasst ihr einen Künstlernamen. Aus Greta Gustafsson wird Greta Garbo. Was dieses Pseudonym bedeuten soll, das bleibt ihr Geheimnis. Sie ist klug genug, es niemals zu lüften. Hollywood braucht ständig neue Talente, schielt in jenen Jahren unablässig nach Europa, vor allem nach Deutschland und nach Schweden, und MGM-Boss Louis B. Mayer will Regisseur Mauritz Stiller. Der wiederum besteht darauf, nur mit Greta Garbo nach Kalifornien zu reisen.

Es ist der 20. September 1925. Ankunft in Los Angeles. Miramar Hotel and Apartments, Santa Monica. Auf dem Briefbogen, den Greta Garbo in ihrer kleinen, bescheidenen Suite in die Hand nimmt, steht hinter „Wilshire Boulevard“ keine Hausnummer, sondern schlicht „at the ocean“. Die Ferienanlage wirbt auf dem Briefbogen zudem mit dem Spruch „warmer in winter, cooler in summer“. Kritiker und Fans werden sich für die oftmals unterkühlt wirkende schwedische Schauspielerin schon sehr bald sehr erwärmen.

Nach ihrem ersten US-Filmauftritt in „Fluten der Leidenschaft“ (1925) urteilt das Entertainment-Magazin „Variety“ angetan: „Dieses Mädchen hat etwas – in ihren Blicken, in ihrer Ausdruckskraft und in ihrer Persönlichkeit. Louis Mayer kann sich selbst dafür auf die Schulter klopfen, dass er dieses Mädchen über den Atlantik geholt hat.“ Robert Payne wird 1976 in seiner Biografie „The Great Garbo“ über Gretas Auftakt in Hollywood schreiben: „Ein schönes, hochgeistiges Einhorn hatte den Garten betreten.“

Doch dieses „Einhorn“ ist in Wahrheit eine ambitionierte Künstlerin, die es bereits nach zwei Vamp-Rollen satt hat, die eindimensionale Verführerin spielen zu müssen. Dafür hat sie nicht am weltberühmten Dramaten drei Jahre lang Unterricht genommen und hart an sich gearbeitet. Sie ist überdies eine moderne, selbstbewusste und emanzipierte Frau, die neben künstlerischer Freiheit auch bald mehr Gage verlangt. Während sie gerade einmal 400 Dollar pro Woche erhält, zahlt MGM dem männlichen Studio-Star John Gilbert, mit dem Garbo anfangs eine Affäre hat, wöchentlich 10.000 Dollar.

Es folgen zähe Verhandlungen mit Mayer; der Studio-Boss droht der Schwedin gar mit Ausweisung – den politischen Einfluss, um die Drohung wahr zu machen, besitzt er zweifellos.

Die Garbo aber bleibt hart und erstreitet einen damals sensationellen Wochenlohn für eine Schauspielerin von 5000 Dollar. MGM kann es sich nicht leisten, den Kassenmagneten „GG“ zu feuern: Ihre Stummfilme spielen das Doppelte der übrigen MGM-Produktionen ein, ihre Tonfilme sogar das Dreifache. Bis zum Ende ihrer Karriere bleibt Greta Garbo dem Studio mit dem brüllenden Löwen treu – und handelt immer wieder bessere Verträge aus. 1935 wird sie von der „New York Times“ zum höchstbezahlten Menschen in den Vereinigten Staaten erklärt.

Ihre 27 Filme – darunter Klassiker wie „Mata Hari“ (1931), „Menschen im Hotel“ (1932), „Anna Karenina“ (1935), „Die Kameliendame“ (1936) und „Ninotschka“ (1939) – machen sie zur lebenden Legende. Louise Brooks hat die Schauspielkunst ihrer berühmten Kollegin so grandios formuliert wie niemand sonst: „Alles basiert auf Bewegung. Garbo ist ganz und gar Bewegung. Zuerst erfasst sie das Gefühl, und aus dem Gefühl erwächst die Bewegung, und aus der Bewegung der Dialog. Sie ist so perfekt, dass die Leute sagen, sie könne nicht schauspielern.“

1941 strauchelt die Perfekte, auch wenn sie nichts dafür kann. Schauspieler in Hollywood waren damals Angestellte der großen Studios, eher noch Leibeigene, hoffnungslos ausgeliefert. Ein Drehbuch ablehnen? Unmöglich!

„Die Frau mit den zwei Gesichtern“ hat ein wirres Drehbuch, das noch während des Drehs immer wieder umgeschrieben wird und schließlich schon nach fünf Minuten die Pointe verrät. Greta muss in einer undankbaren Doppelrolle eine Parodie ihrer selbst sowie eine Durchschnittsfrau spielen – die Idee ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Das Publikum mag sie zudem nicht als Betrunkene auf der Leinwand sehen. Hinzu kommen Zensurprobleme, die Katholische Liga für Anstand verteufelt den harmlosen Streifen wegen unsittlicher Freizügigkeit – der fertige Film muss wieder umgeschnitten werden. Einen Tag nach der Uraufführung am 6. Dezember 1941 greifen die Japaner Pearl Harbor an. Bei der zweiten Premiere am 31. Dezember 1941 interessieren sich die Amerikaner schon nicht mehr für die müde Garbo-Komödie.

Bis zu ihrem Tod am 15. April 1990 in New York City bewahrt sich „die Göttliche”, wie man sie nennt, ihren eigenen Mythos. Wer heute die im Wortsinn traumhaften Fotos von ihr betrachtet, versinkt weiterhin in der zeitlosen Schönheit dieser Frau. Sie war nicht nur atemberaubend, sie war schmerzhaft schön. Sie vereinte eine träge Sinnlichkeit mit unergründlicher Stille und Melancholie; dazu passten ihr charakteristischer Gang und ihre tiefe, fast schleppende Alt-Stimme. Vollkommen wurde ihre hocherotische Aura durch ihre Intelligenz, ihren subtilen Humor und ihre Libertinage.

Der Mann auf dem Bürgersteig in Manhattan steht also der Spaziergängerin im Weg. „Sind Sie Greta Garbo?“ Die Dame antwortet in einem tiefen, fast schleppenden Alt, der ein wenig aufgeraut klingt: „Ich war Greta Garbo.“

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