Der Iran in Bonn Die Erfindung des Paradieses

Bonn · Die Bundeskunsthalle zeigt eine großartige kulturgeschichtliche Ausstellung über den Iran und seine frühen Kulturen zwischen Wasser und Wüste. Ein idyllischer Garten rundet das Angebot ab.

Wir blicken gebannt auf eine gerade einmal 6,5 Zentimeter hohe Figur aus gebranntem Ton. Das an der Moderne geschulte Auge erkennt eine kubistisch anmutende Frau, etwa von Picasso, auch etwas Arp ist dabei: kugelige Brüste auf einem gestauchten, runden Leib, mächtige, konisch zulaufende Schenkel, ein überlanger Hals, der Kopf ist entweder nicht mehr vorhanden oder mit dem Hals verschmolzen.

Eine wunderbare, in sich geschlossene Komposition, urweiblich wie die Mutter aller archaischen Göttinnen, die sogenannte Venus von Willendorf, und doch ein modern anmutendes Kunstwerk. Ein unbekannter Künstler schuf die kleine Tonskulptur zwischen 7000 und 6100 v. Chr., gefunden wurde sie mit weiteren Figuren am Tappe Sarab im West-Iran. Eine der vielen Entdeckungen der ausgezeichneten Ausstellung „Iran – Frühe Kulturen zwischen Wasser und Wüste“, die am Mittwochabend in der Bonner Bundeskunsthalle eröffnet wurde. Zur Ausstellung gehören auch ein großer „Persischer Garten“ auf dem Museumsplatz und ein orientalisches Café im Foyer.

Was sich vor 10 000 Jahren zwischen dem Kaspischen Meer im Norden und dem Persischen Golf im Süden, zwischen der Gebirgskette Alborz und dem Zagrosgebirge abspielte, die das Land dazwischen klimatisch und zunächst auch zivilisatorisch abschotteten, davon machen sich hierzulande nur wenige Spezialisten ein Begriff.

Die sehr gelungene, von Susanne Annen und Barbara Helwing in dreijähriger Arbeit recherchierte und mit einer ausgeklügelten Ausstellungsarchitektur in Ocker, Rot, Grün und Blau inszenierte Schau füllt Wissenslücken auf anschauliche Weise. 400 Exponate, allesamt aus dem Iran, in erster Linie aus dem Nationalmuseum in Teheran und diversen Provinzmuseen, schlagen einen Bogen von den frühen sesshaften Bauern bis zur Schwelle zur Gründung des persischen Reichs durch Dareios I. im Jahr 522 v. Chr.

Die Schau erzählt gewissermaßen die Vorgeschichte zu „7000 Jahre persische Kunst“, die 2002 in der Bundeskunsthalle zu sehen war und klinkt sich ein in eine großartige Folge von kulturhistorischen Ausstellungen, die seit dem Eröffnungsjahr 1992 in der Bonner Institution zu sehen waren.

„Tanz“ ist das erste Kapitel überschrieben, zunächst ungewöhnlich für eine Population, die sesshaft wurde. Doch, was die frühen Künstler dieser Gesellschaft um 5600 v. Chr. auf Tonschalen und bauchigen Gefäßen festhielten, waren agile Tänzer und Tiere in Bewegung. Ein wunderbarer Zeichentrickfilm der jungen iranischen Künstlerin Mariam Bayani zeigt, wie Formen der Natur, wie Tiere sich tänzerisch in Ornamente verwandeln – im Takt schwungvoller persischer Musik. Der Film orientiert sich an Exponaten der Schau und lenkt die Aufmerksamkeit auf ein eindrucksvolles Panorama von Figuren, Tierchen, tanzenden Fischen, aufrecht stehenden Kultfiguren und realistisch anmutenden Porträtbüsten.

Jedes Kapitel wird von einer geografischen Karten-Animation und einer Infostation eingeleitet. Von den frühen Bauern geht es in das Zeitalter des Austauschs. Themen sind hier Handel und Handwerkskultur im südöstlichen Iran. In diesem Kapitel wird eine der vielen Attraktionen der Schau präsentiert: Es handelt sich um fantasievoll geschnitzte Specksteingefäße aus dem dritten Jahrtausend v. Chr. Bei einer Razzia gingen sie 2001 den Behörden ins Netz, sie stammten aus Raubgrabungen in bronzezeitlichen Nekropolen nahe der Stadt Dschiroft. Erstmals sind diese Schätze nun außerhalb des Irans zu sehen.

Eine zweite Sensation findet sich in der Abteilung der Schau, die sich mit dem Kollaps der westasiatischen Zivilisation ab 1000 v. Chr. befasst: Wie in einer Schatzkammer arrangiert, sieht man den Schmuck und das Goldgeschirr zweier elamischer Prinzessinnen. 2007 entdeckten Bauarbeiter die Grabstätte aus dem sechsten Jahrhundert v. Chr. mit zwei Bronzesarkophagen. Auch diese Kostbarkeiten haben nun erstmals den Iran verlassen. Doch die Ausstellung glänzt nicht nur mit den Hinterlassenschaften von Adeligen, sie erlaubt auch einen Blick auf die Alltagskultur im frühen Iran, zeigt Geschirr, kunstvolle Gefäße und dem „Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel“ ähnliche Brettspiele, Schriftzeichen, Waffen, kultische Gerätschaften.

Besonders interessant ist der Versuch, die in einigen der insgesamt 21 Unesco-Welterbestätten des Iran heute vorhandenen Ruinen quasi wiederauferstehen zu lassen. CAD-Animationen geben einen Eindruck, wie etwa die Städte Tschogha Misch und Susa im Tiefland von Chusistan einst aussahen. Indizien für die digitale Rekonstruktion bieten die vorgenommenen Grabungen, die Funde von Architekturteilen, aber auch winzige Rollsiegel, auf denen Häuser, mitunter mehrstöckige, zu sehen sind. Diese Informationen flossen in die Animation. Eine großartige Kultur nimmt Formen an.

Bundeskunsthalle Bonn; bis 20. August. Di, Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr. Katalog (Hirmer) 35 Euro

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