Kommentar zu Hitlers "Mein Kampf" Der einzig sinnvolle Weg

Meinung · Adolf Hitlers "Mein Kampf" ist ein erbärmlich schlecht geschriebenes Buch, steckt voller Fehler und historischer Unwahrheiten. "Mein Kampf" ist ein verbrecherisches Buch.

Hat Hitler hier doch Gedanken formuliert, die keine zwei Jahrzehnte später zur größten Katastrophe des Jahrhunderts führten, zum Tod von sechs Millionen Juden, die Hitlers Rassenwahn zum Opfer fielen, zu einem Weltkrieg, der insgesamt 80 Millionen Menschen das Leben kostete. "Mein Kampf" ist der perfide Plan, das ideologische Gerüst zur Katastrophe.

Und dieses Buch soll wieder erscheinen? Ja und Nein. Hitlers Buch selbst bleibt verboten, ist allerdings mit zwei Klicks im Internet verfügbar oder in Antiquariaten erhältlich. Wie lange das Verbot einer Neuauflage zu halten ist, weiß niemand. Urheberrechtlich ist das Werk 70 Jahre nach dem Tod des Autors frei, könnte also wieder gedruckt werden. Und erschiene dann, wie Hitler es geschrieben hat. Undenkbar, aber nicht unrealistisch. Nicht auszudenken, was Opferverbände, was von Hitlers Krieg besonders betroffene Menschen etwa in Israel oder Russland sagen würden, würde jetzt "Mein Kampf" unkommentiert in deutschen Buchläden liegen.

Die gestern erschienene historisch-kritische Ausgabe von "Mein Kampf" ist so gesehen der einzig sinnvolle, pragmatische Weg, mit dem Thema umzugehen, sie ist alternativlos. Es ist der Versuch, den Mythos, der verbotene Schriften gewöhnlich umgibt, aufzubrechen, Hitlers krause Geschichts- und Gesellschaftssicht mit historischen Fakten zu konfrontieren und damit zu entzaubern. Das haben zwar die Flut von Büchern zum "Dritten Reich", die vielen Hitler-Biografien bereits gründlich geleistet - es gibt keine Epoche der Geschichte, die besser und tiefer erforscht ist. Nun bietet sich aber durch die Edition eine Gelegenheit, direkt an die Quelle des Bösen zu gelangen, Hitlers Schmähschrift im Original zu lesen und dazu den wissenschaftlichen Kommentar, der das Geschriebene kritisch einordnet.

Andreas Wirsching, der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, das die Edition herausgibt, bezeichnet das als "politisch-moralisch notwendig" und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Hitlers Schrift, wie er sagt "gemeinfrei und kommentarlos vagabundieren zu lassen, ohne ihr eine kritische Referenzausgabe entgegenzustellen", wäre verantwortungslos.

Der Preis dieser aufklärerischen Tat ist jedoch hoch. Bedeutet das doch, eine Hetzschrift, ein Werk aus dem Giftschrank zu holen und es gedruckt - und allerdings auch kommentiert - sieben Jahrzehnte nach Hitlers Tod wieder in die Öffentlichkeit zu bringen. Auf die Gefahr hin, damit Opfer des Nationalsozialismus und deren Angehörige zu brüskieren.

Daran entzündet sich nun die Kritik. Die reicht von einem "Das absolut Böse lässt sich nicht edieren" des britischen Germanisten Jeremy Adler bis zu "Unsinn", wie der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, die Neuauflage bezeichnet. Man hätte Hitlers Schrift besser "im Giftschrank der Geschichte" belassen, meint er. Adler formuliert sein Unverständnis darüber, dass in einem Land, in dem die Leugnung des Holocaust strafbar sei, nun das Buch, das dazu geführt habe, wieder erscheine. Ja, es erscheint. Jedoch - anders als vor 90 Jahren - kritisch beurteilt, wissenschaftlich entlarvt. Als Anleitung zum selbstständigen Denken. Nicht mehr und nicht weniger.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Ein Porträt Venedigs am Piano
Iiro Rantala und Fiona Grond beim Jazzfest Ein Porträt Venedigs am Piano
Zum Thema
Der Macke vom Müll
Neue Folge des Crime-Podcasts „Akte Rheinland“ Der Macke vom Müll
Aus dem Ressort