GA-Interview Der Fingerabdruck des Künstlers

Der diesjährige Art-Cologne-Preisträger und Chef des Kölner Kunsthandelsarchivs Zadik, Günter Herzog, über Chancen und Risiken des Vergessens

Blick in die Zukunft: Günter Herzog. FOTO: MARKUS HOFFMANN

Blick in die Zukunft: Günter Herzog. FOTO: MARKUS HOFFMANN

Foto: Art

Vergangenes Jahr hatten Sie Ihren großen Wurf mit der Analyse über 50, streng genommen 49 Jahre Art Cologne, dieses Jahr der Art Cologne Preis. Wie fühlt man sich im Rampenlicht?

Günter Herzog: Ehrlich gesagt, ich persönlich fühle mich da gar nicht so wohl. Es ist aber gut für das Zadik, wenn man etwas im Fokus der Aufmerksamkeit steht und dadurch deutlich wird, was wir hier machen. Wir sind kein Museum, sondern ein Archiv und daher nicht so öffentlich wirksam.

Hat es auch Einwände oder Proteste von einzelnen gegen Ihr Jubiläumsbuch gegeben, das ja keine laue Festschrift war, sondern durchaus kritisch Rückschau hielt und wunde Punkte in der Geschichte der Art Cologne angesprochen hat?

Herzog: Es gibt immer Probleme mit solchen Schriften. Der Titel zum Beispiel, „Die erste aller Kunstmessen“, dafür sind wir beschimpft worden. Zumal der Titel auf der Rückseite relativiert wurde: erste Messe für zeitgenössische und Gegenwartskunst. Mancher fühlte sich nicht ausgiebig genug gewürdigt, wir konnten auch nicht alles in das Buch hineinbringen. Dafür hatten wir gar nicht die Zeit. Wir haben das Buch ohne jeglichen Einfluss der Messe gemacht. Unser Ziel war, möglichst objektiv Bericht zu erstatten.

Größe und drohende Unübersichtlichkeit, Qualitätsstandards und Zulassungsquerelen sowie der Hype der Kunstpreise ziehen sich durch die Geschichte der Art. Welche Themen beschäftigen die Gegenwart?

Herzog: Das müssen Sie mich in 25 Jahren fragen, wenn die Materialien in unser Archiv eingegangen sind. Ich kann jetzt dazu nichts sagen. Ich bin Archivar: Und wir haben eine eingebaute Verzögerung von einer Generation.

Wir kommen darauf zurück. Die neue Kunstmesse in Düsseldorf, die alte Kölner Art Fair, steht in den Startlöchern. Der Archivar weiß, dass das nicht das erste Messeabenteuer in der Landeshauptstadt war. Wie lief das mit den Vorgängern?

Herzog: Messen sind kommerzielle Unternehmen. Wenn die Nachfrage nachlässt, dann lässt auch das Interesse nach. Es hat schon immer Gegen-, Parallel-, Satelliten- und Protestmessen gegeben. Die waren auch ein wichtiger Bestandteil, weil sie boten, was die Hauptmesse nicht leisten konnte. Meistens sind aber die in diesen kleinen Messen erprobten Elemente und guten Ideen früher oder später in die großen, etablierten Messen eingeflossen.

Konkret zu Düsseldorf. Es gab schon einmal eine Kooperation mit Köln.

Herzog: In den 1970er Jahren hat man die Standorte gewechselt. Man hatte erkannt, dass man sich sonst nur gegenseitig Konkurrenz und das Leben schwer macht. Und so gab es die Messe wechselnd in Düsseldorf und Köln, man hat sich Logistik und Kosten teilen können. Man hatte sich nicht gegenseitig die Kunden abgegraben, sondern die Interessen bündeln können.

Womit endete das Experiment?

Herzog: Es hat sich herausgestellt, dass die internationalen Kunsthändler einen konkreten Standort haben wollten. Sie suchten den vertrauten Ort. 1984 hat man die Alternierung abgeschafft. Das war die Gründung der Art Cologne.

Welche Chancen hat der aktuelle Versuch einer Kunstmesse in Düsseldorf?

Herzog: Es ist eine Frage des Marktsegments. Die Düsseldorfer müssen etwas bedienen, was die Art Cologne nicht tut. Ich kann nicht sagen, ob das erfolgreich sein wird.

Wenn die Art Cologne hundert wird, sind wir beide mutmaßlich nicht mehr im Dienst. Bedauern Sie Ihre Kollegen im Zadik (was es dann vielleicht noch gibt), wenn sie Twittermeldungen, Blogs, Facebookeinträge auswerten müssen? Wie verändert sich die Arbeit eines Archivs?

Herzog: Ich finde das faszinierend und bedaure die Kollegen der Zukunft überhaupt nicht. Gerade fangen wir an, den E-Mail-Verkehr auszuwerten. Wir bearbeiten das Archiv eines Auktionshauses, das seit 1992 ein elektronisches Datenerfassungssystem hat. Es gibt große Unterschiede zwischen der analogen und digitalen Materialität. Die wunderbaren Briefe auf Büttenpapier, die Georges Mathieu mit dicker Tusche aufgepinselt hat, die gibt es heute im E-Mail-Verkehr nicht. Dieses Medium beginnt, eine eigene Ästhetik herauszubilden. Da wird sich noch viel entwickeln. Und die Archive werden das sammeln.

Das wird nicht einfach.

Herzog: Seit 1995 ist das Internet Standard. Die großen Provider haben es versäumt, die Kunden mit einem Archivierungssystem für ihre Kommunikation zu versorgen. Wie rechnen mit großen Datenverlusten. Der Gedächtnisverlust einer ganzen Generation. Bei der Weitergabe von Archiven stellen sich Probleme: Bisher hatte man eine ganze Wand mit Aktenordnern, man konnte leichter entscheiden, welches Material man aus der Hand geben möchte und welches nicht, jetzt muss man sich in den filigranen Verästelungen digitaler Ordner zurechtfinden. Möglich, dass sich durch diese Probleme das Abgabeverhalten ändert. Es bleibt spannend. Wir müssen mit der Zeit gehen.

Goldene Zeiten für Archivare?

Herzog: Andererseits archivieren sich Google und Facebook quasi selber. Sie vergessen nichts mehr. Man muss sie inzwischen dazu zwingen. Es wird mehr archiviert als jemals zuvor. Die Information akkumulieren sich immer stärker. Irgendwann werden wir froh sein, wenn wir vergessen können.

Welche aktuellen Recherchen laufen?

Herzog: Wir sitzen immer noch an der Digitalisierung des Dorothee-und-Konrad-Fischer-Archivs. Da liegen wir in den letzten Zügen, haben über 42000 Dokumente im Auftrag der Kunstsammlung NRW erschlossen und digitalisiert. Jetzt haben wir mit der Erschließung des Privatarchivs von Klaus Honnef begonnen, der noch immer ein wichtiger Theoretiker und Kurator auf dem Gebiet der Fotografie ist. Wir haben das erste Auktionshaus-Archiv bekommen. Die 900 Bücherkartons, die überall im Zadik untergebracht sind, sind Archivalien des 1927 gegründeten Hamburger Auktionshauses Hauswedell & Nolte. 2015 fand die letzte Auktion statt.

Das Zadik wird 25 und hat sich jenseits der reinen Archivarbeit auch als wissenschaftliches Ausbildungsinstitut etabliert. Kann man Kunstmarkt lernen?

Herzog: Wir sind Forschungsarchiv an der Universität zu Köln. Die Studenten lernen den ganzen Kunstbetrieb von innen kennen, können an die Anfänge gehen. Können verfolgen, wie Kunstwerke ins Museum kamen. Da liefern die Archive von Galeristen Informationen. Weitere Materialien finden sich in den Archiven von Sammlern, Kunstkritikern, Fotografen, Kuratoren und Vereinigungen. Bei uns lernt man die innerbetriebliche Seite des Kunstsystems kennen. Hier klebt gewissermaßen der Fingerabdruck des Künstlers und all derer, die ihm zur seiner Karriere geholfen haben, auf den Sachen.

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