Romeo und Julia aus New York Das Musical West Side Story gastiert im Kölner Musical Dome

PARIS · Nach 15 Monaten auf Tournee rund um den Globus endet die West Side Story im Kölner Musical Dome. Die Inszenierung und Choreographie von Joey McKneely führt zurück zu den Ursprüngen des Originals.

 Schenken sich nichts: Die Jets aus New York und die Sharks aus Puerto Rico kämpfen darum, wer auf der Upper West Side das Sagen hat

Schenken sich nichts: Die Jets aus New York und die Sharks aus Puerto Rico kämpfen darum, wer auf der Upper West Side das Sagen hat

Foto: Susanne Brill

Ein Stück südwestlich von Paris liegt – auf der Île Seguin bei Boulogne-Billancourt – ein Schiff vor Anker. Zumindest sieht der von Shigeru Ban und Jean de Gastines entworfene, futuristische Gebäudekomplex wie eines aus.

Im Fokus des am 21. April 2017 mit einem Bob-Dylan-Konzert eröffneten Kulturtempels „La Seine Musicale“ steht eine Glaskugel: eingefasst von einer Wabenkonstruktion aus Kiefernholz, was auf Anhieb an ein Vogelnest erinnert. Darin liegt ein Auditorium mit 1150 Plätzen, für dessen akustisches Innenleben dasselbe Büro aus Tokio verantwortlich zeichnet, das auch in der Hamburger Elbphilharmonie am Werk war.

An der Außenseite der blau-schimmernden Kugel folgt ein Photovoltaiksegel von mehr als 800 Quadratmetern dem Lauf der Sonne. Überhaupt ist groß an diesem Ort mit insgesamt 36 500 Quadratmetern bei Weitem nicht groß genug. Die Halle „La Grande Seine“ zum Beispiel fasst bis zu 6000 Zuschauer. Und die mit dem Begriff riesig eher unzulänglich beschriebene digitale Werbefläche auf der Plaza projiziert Bilder, nach denen man sich glattweg den Hals verrenken könnte. So wie nach dem Schriftzug der „West Side Story“ in den aufeinander gestapelten, leicht verwitterten Blockbuchstaben.

Wo der Renault-Konzern bis 1992 jahrzehntelang Fahrzeuge produziert hat, werden Tony und Maria am Abend die Liebe für sich entdecken, um sie denn auch gleich wieder zu verlieren.

Zu „La Seine Musicale“ gehören Proberäume, eine Gesangsschule, ein eigenes Orchesterensemble, Seminarräume und ein Pressezentrum. Der Zugang zum Gelände ist bewacht. Vor dem Anschlag auf die Konzerthalle Bataclan im November 2015 hätte das übertrieben wirken können. In diesem Fall dienen ein provisorischer Ausweis und ein kurzes verständiges Nicken, um ohne weitere Umstände durchgelassen zu werden.

Kaffee und Wasser sind gerade erst eingeschenkt, als Regisseur und Choreograph Joey McKneely in Begleitung der Hauptdarsteller Kevin Hack und Natalie Ballenger den hellen, gastfreundlichen Raum mit Blick auf die Seine betritt, um alle Fragen zu beantworten, die sich innerhalb der nächsten 40 Minuten zum Pariser Gastspiel der „West Side Story“ ergeben mögen.

Gut 60 Jahre nach seiner Uraufführung am 26. September 1957 im New Yorker Wintergarden Theatre ist das seinerzeit von Leonard Bernstein (Musik), Stephen Sondheim (Gesangtext), Arthur Laurents (Buch) und Jerome Robbins (Idee und Choreographie) kreierte Musical auf Tournee und wird vom 9. bis 14. Januar im Kölner Musical Dome zu sehen sein. Es ist das Finale nach 15 Monaten rund um den Globus mit Stationen in Auckland, Bangkok, Bratislava, Den Haag, Dubai, Dublin, Hong Kong, Istanbul, Manila, Oman, Prag, Singapur, Tokio und Wien.

Das provokante Fingerschnipsen der Jets und Sharks, die Texte und Melodien von „Tonight“, „America“, „Somewhere“ und „I Feel Pretty“ haben weltweit Theatergeschichte geschrieben, der zehnfach oscarprämierte Film mit Natalie Wood und Richard Beymer hat seit 1961 das seine dazu getan. Soll heißen: Jeder kennt zumindest ein Stück „West Side Story“ und glaubt sich sicher über den Rest: Romeo und Julia aus dem Immigrantenviertel New Yorks. Noch Fragen?

Aber ja. Und die erste geht, selbstredend, an McKneely: Wie fasst man solch einen Klassiker an? „Die größte Herausforderung bestand darin, dieses Musical ins nächste Jahrtausend zu transportieren“, sagt McKneely, ein Schüler von Jerome Robbins und somit dazu berufen, für das Original zu sprechen „Zuvor war die West Side Story in der Reproduktion der Broadway-Inszenierung von 1957 zu sehen, was sich wie ein Museumsstück anfühlte“, fügt der Regisseur und Choreograf hinzu.

An Musik oder Text etwas ändern zu wollen, war für McKneely allerdings nie eine Option. Zurück zum Ursprung? Das schon eher! So kommt das in New York gecastete, junge Ensemble aus eben der Altersklasse, die die Schöpfer der „West Side Story“ im Sinn hatten. Halbstark, und vor der Zeit erwachsen geworden, um sich ihren amerikanischen Traum auf eigene Faust zu erfüllen. Was im hinreißenden Auftritt von Anita und den Shark-Mädchen zum Ausdruck kommt.

„America“ ist über die Musical-Vorlage hinaus ein „All Star“ geworden, weil Hoffnungen und Enttäuschungen, Skepsis und Stolz der Einwanderer pointiert formuliert und einander gegenübergestellt werden, ohne etwas verwässern oder beschönigen zu wollen.

Diese „West Side Story“ gründet auf der Originalvorlage und nicht auf der stellenweise abgewandelten Handlung des Films. Das Tempo ist spürbar forcierter als in anderen Inszenierungen. Die Darsteller agieren ursprünglicher, schärfer und leidenschaftlicher. Und die schwarz-weißen Filmprojektionen aus den 1950ern bieten im Hintergrund die ideale „Blaupause“.

Bei all dem ist diese Version aber auch flexibel genug, um sich der Kultur des jeweiligen Gastlandes anzupassen. So wurden im Oman die Röcke etwas länger, und die Ausschnitte züchtiger, wie Natalie „Maria“ Ballenger es auf den Punkt bringt. Sie hat an der New York City Opera debütiert, stand unter anderem bereits Eliza Doolittle in „My Fair Lady“ auf der Bühne. Sie ist Preisträgerin der Lotte Lenya Competition und – abgesehen davon – „schon ziemlich neugierig auf den Kölner Dom.

Ihr Bühnenpartner Kevin Hack kann immerhin mit deutschen Vorfahren aufwarten: Die Großeltern väterlicherseits kamen aus dem Rheinland. Ursprünglich wollte „Tony“ Eishockeyprofi in der nordamerikanischen NHL werden, bevor er „eine Weile vom Kurs abkam“. Bevor er schließlich das Ruder wieder übernommen und als Musical-Darsteller eine neue Richtung eingeschlagen hat.

Abgemustert wird Mitte Januar am Rhein. Aber bis dahin wird der Fluss noch viel Wasser mit sich führen.

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