Theaterpremiere in Düsseldorf Das Hohngelächter des Zufalls

In Düsseldorf inszeniert Tilmann Köhler „Das Versprechen“ nach Dürrenmatts Roman. Das kommt beim Publikum an.

 Gruppenbild mit Monster: Szene aus „Das Versprechen“. FOTO: HORN

Gruppenbild mit Monster: Szene aus „Das Versprechen“. FOTO: HORN

Foto: Matthias Horn

Er wird kommen“, murmelt Kommissar Matthäi. Die ebenso beunruhigende wie sehnsüchtige Prophezeiung gilt dem flüchtigen Mörder der kleinen Gritli Moser, den der Kantonspolizist mit einem anderen Mädchen ködern will.

Friedrich Dürrenmatt erfand diese Drehbuch-Konstellation für den Film „Es geschah am helllichten Tag“, der ihm dann 1958 arg missfiel. Einerseits wegen Heinz Rühmanns harmlosem Spiel, vor allem aber wegen des geänderten Endes, an dem Matthäi den Gesuchten stellt.

Für den Schweizer Autor (1921-1990) war die übliche Krimimoral ein frommes Ammenmärchen, das der Polizei jene Ordnungsmacht andichtet, die man der Politik längst nicht mehr zutraut. Diese „staatserhaltende Lüge“ korrigierte er in seinem Roman „Das Versprechen“.

Eine Puppe alsgespenstisches Opfer

Entsprechend wird jeder „Verbrechen lohnt sich nicht“-Optimismus aus der Ausweichspielstätte des Düsseldorfer Schauspiels verbannt. Schon Karoly Risz' geniales Bühnenbild kippt die Welt aus den Fugen: Dank des rechtwinklig über dem Boden platzierten Spiegels scheinen die liegenden Figuren an einer Steilwand zu hängen, stets vom Absturz bedroht.

So fällt es Regisseur Tilmann Köhler leicht, die Abgründe der Vorlage auszuloten. Das Gewisper der Dörfler, die einen Verdächtigen gern lynchen würden, die ins Leere schwingende Kinderschaukel und auf die Bühne geknallten Holzscheite schaffen eine beklemmend-surreale Atmosphäre. Eine Puppe vertritt Gritli Moser und ihre kleinen Leidensgefährtinnen und ist dank Johanna Kolbergs Spiel noch im Totsein lebendig – ein rührendes Gespenst. Diese Bildkraft dunkler Märchen trägt den Abend über seinen schwächeren Beginn.

Denn anfangs zitiert Dürrenmatt Krimiklischees: der scheidende Kommissar, den der letzte Fall dann doch am Ort festnagelt, der allzu ehrgeizige Nachfolger (Sebastian Tessenow), oder der Unschuldige (Kilian Land), der unter Druck gesteht. Während Thomas Wittmann den Polizeichef oft ins Groteske überdreht, ist Matthäi ein getriebener Schmerzensmann. Das Bild des verstümmelten Mädchens verfolgt ihn ebenso wie die Kindergruppe am Flughafen. Florian Lange – bleich, oft atemlos – macht die Phantome des Kommissars spürbar.

Hier gleitet jemand aus allen Halteseilen seiner bürgerlichen Existenz in eine zwar gerechte, aber selbstzerstörerische Besessenheit. Die Inszenierung skizziert dies virtuos: Man hört nur die Autos, die an Matthäis Lauerposten vorbeisausen. Dort, an der Tankstelle, täuscht er einer Ex-Prostituierten (Minna Wündrich) Zuneigung vor, um deren Tochter als Lockvogel einzusetzen. Eine infame Falle, die nie zuschnappt.

ExistenzielleAussichtslosigkeit

Tilmann Köhler mag gängigen Mitteln wie Rollenwechseln vertrauen, arbeitet aber suggestiv Dürrenmatts Stärken heraus: Vieldeutige Zeichen buchstabieren auf der Bühne die Symbolsprache der Mädchen nach, die von „Riesen“ oder „Zauberern“ verführt werden.

Für diese Rätsel gibt es psychoanalytische Schlüssel, die indes nichts an der existenziellen Aussichtslosigkeit ändern.

Im Schlussbild wird der Happy-End-Erwartung des Publikums buchstäblich der Spiegel vorgehalten. Während Matthäi in Suff und Wahn rutscht, fährt sich der nicht gefasste Mörder selbst tot. So klingt das Hohngelächter des Zufalls. Starker Beifall.

Knapp zwei Stunden ohne Pause. Wieder am 24. u. 26.4., je 19.30 Uhr. Central, Worringer Str. 140 , Düsseldorf. Karten-Tel.: (0211) 36 99 11.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort