Neu im Kino Das Historiedrama "Churchill" unter der Lupe

Bonn · Titelheld Brian Cox glänzt als Winston Churchill in Jonathan Teplitzkys packendem Historiendrama "Churchill" über vier kritische Tage im Leben des Politikers.

 Eindrucksvoll: Brian Cox als Winston Churchill und Miranda Richardson als Clementine Churchill.

Eindrucksvoll: Brian Cox als Winston Churchill und Miranda Richardson als Clementine Churchill.

Foto: dpa

In der heranbrechenden Ära der zynischen Populisten erscheint ein Vollblutpolitiker wie Winston Churchill als Dinosaurier der Zeitgeschichte. Mehr als sechzig Jahre war Churchill Abgeordneter im britischen Unterhaus, prägte als Marine-, Kriegs- und zweimaliger Premierminister die Politik des Vereinigten Königreiches in der stürmischen ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, führte das Land schließlich durch den Zweiten Weltkrieg, wurde danach erst einmal abgewählt, bis er es 1951 wieder als Premier in die Downing Street schaffte. Eine Karriere von Triumphen und Niederlagen, aus der man sicherlich eine mehrstaffelige TV-Serie basteln könnte.

Immerhin hat es Churchill schon als schillernde, widersprüchliche Nebenfigur in die Netflix-Serie „The Crown“ geschafft, aber auch im Kino ist der Mann mit der Zigarre in diesem Jahr omnipräsent. Joe Wright („Stolz und Vorurteil“) arbeitet gerade an „Darkest Hour“, in dem Gary Oldman in die Rolle des legendären Politikers schlüpft, aber zuvor ist erst einmal Brian Cox dran, der in Jonathan Teplitzkys „Churchill“ die Titelrolle übernimmt.

Teplitzky („Railway Man“) und sein Drehbuchautor Alex von Tunzelmann extrahieren gerade einmal vier Tage aus Churchills umfangreicher Karriere, die unter dem zeithistorischen Mikroskop betrachtet werden. Es sind die vier Tage vor dem D-Day am 6. Juni 1944, an dem die alliierten Truppen mit vereinten Kräften in der Normandie landen wollen. Churchill hat große Bedenken gegen die Militäroperation, weil die Anti-Hitler-Koalition damit alles auf eine Karte setzt. Beim Strandspaziergang färbt sich das Wasser vor seinen Augen rot vom Blut der Soldaten, das bald vergossen werden wird.

Als Marine-Minister war Churchill während des Ersten Weltkrieges verantwortlich für die Invasion in Gallipoli – ein militärisches Desaster mit über 100.000 Toten auf beiden Seiten.

Keine Alternative zur Militäroperation

Er fürchtet nun, dass sich die traumatischen Erfahrungen in einem noch gewaltigeren Maßstab wiederholen könnten und tut alles, um die Operation in letzter Minute zu verhindern. Aber er muss feststellen, dass er als gewählter Volksvertreter wenig Einfluss auf die militärische Realpolitik hat.

Für den US-Oberbefehlshaber General Eisenhower (John Slattery) und dem britischen General Montgomery (Julian Wadham) gibt es keine Alternative zu der seit Monaten vorbereiteten gigantischen Militäroperation, und sie sind nicht bereit, sich von dem alten Herren reinreden zu lassen.

Selbst Churchills Versuch, den König George VI. (James Purefoy) auf seine Seite zu ziehen, will nicht gelingen. Eine durchaus interessante Perspektive hat Teplitzky für sein kompaktes Biopic gewählt, in dem der große Staatsmann Zeuge seiner eigenen Machtlosigkeit in den Mühlen der Weltgeschichte wird. Der strahlende Held Churchill, der Hitlers Blitzkrieg die Stirn geboten hat, wird hier als von eigenen Traumata geprägter Gewissenspolitiker gezeichnet, der die Zahl der potenziellen Opfer gegen den möglichen Misserfolg der Operation abwägt. Gleichzeitig zeigt der Film die Dekonstruktion eines Egomanen, dessen Selbstüberschätzung in Konflikt mit militärischer Realpolitik gerät und sich – wie die Geschichte zeigen sollte – mit seiner Einschätzung der Lage gründlich getäuscht hat.

Die Widersprüchlichkeit der Figur bündelt Brian Cox in einer wunderbar garstigen Performance, die hinter dem cholerischen Auftreten die Ängste und den Narzissmus der Figur herausarbeitet. In seiner filmischen Umsetzung bleibt „Churchill“ mit seinem biederen Format jedoch weit hinter der interessanten, inhaltlichen Herangehensweise zurück und findet nicht aus den behäbigen Kostümfilm-Konventionen des britischen Kinos heraus.

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