Krönchen für die Kleinen Das Geschäft mit den Kinder-Schönheitswettbewerben

Strumpfbänder und Schrei-Duelle inklusive: Schönheitswettbewerbe für die Allerjüngsten sind in den USA ein lukratives Geschäft. Nicht selten zerstören ehrgeizige Mütter damit die Seelen und die Zukunft ihrer Kinder.

 Was hierzulande umgehend den Kinderschutz auf den Plan rufen würde, ist in den USA Normalität: Schönheitswettbewerbe für kleine Mädchen.

Was hierzulande umgehend den Kinderschutz auf den Plan rufen würde, ist in den USA Normalität: Schönheitswettbewerbe für kleine Mädchen.

Foto: picture alliance / dpa

Sie tragen knappe Röcke, ausgestopfte BHs, viel zu viel Lippenstift und lächeln kokett ins Publikum. Was hierzulande umgehend den Kinderschutz auf den Plan rufen würde, ist in den USA Normalität: Schönheitswettbewerbe für kleine Mädchen (und inzwischen auch Jungen), bei denen die Kinder ehrgeiziger Mütter mit Bräunungscremes und Lidschatten um den Sieg ringen. Mehr als 250.000 Kinder zwischen zwei und 16 Jahren kämpfen jährlich in rund 5000 Schönheitswettbewerben, Beauty Pageants genannt, um Krönchen und Schärpen.

Die Prüfungen ähneln jenen der Wettbewerbe für Erwachsene: Von der Präsentation eines besonderen Talents bis zum Flanieren und Posieren im Freizeitoutfit, Ballkleid und Badeanzug werden die Kinderkörper auf den Laufsteg oder die Bühne geschickt. Und das nicht nur in den Sälen trister Landgasthäuser, sondern sogar im nationalen Fernsehen: Unter dem klangvollen Namen „Toddlers & Tiaras“ (etwa: „Kleinkinder und Krönchen“) begleitete der Reality-Sender TLC bemerkenswert unkritisch die Teilnehmer und machte manch stark geschminktes Kind kurzfristig zum Star.

2013 wurde das Format nach fünf erfolgreichen Jahren und heftigen Kontroversen zwar eingestellt; im vorigen Sommer fand sich aber schon wieder ein Sequel im Programm des Senders. Hingegen läuft die Show „Dance Moms“ (bei der die minderjährigen Mädchen in Glitzerkostümen zeigen, wie schön sie tanzen, und deren Mütter, wie hässlich sich Erwachsene benehmen können) beim Sender Lifetime mit ungebrochenem Erfolg im siebten Jahr. Es wurde lediglich im Sommer eine neue Trainerin und Moderation nötig, weil die Vorgängerin, die für ihre Schrei-Duelle berüchtigte Abby Lee Miller, überraschend eine mehrjährige Haftstrafe antreten musste.

Nicht nur Ess-Störungen und Drogenprobleme

Den Freiheitsentzug empfanden manche Kritiker als gerechte Strafe für das Ausbeuten der Mädchen, auch wenn die Verurteilung wegen Insolvenzbetrugs ursächlich nichts damit zu tun hatte. Die Folgen, die dieses Leben für die Kinder haben kann, sind vielfältig und hinlänglich bekannt und beschränken sich nicht auf Ess-Störungen und Drogenprobleme: „Es ist für Kinder in der Pageant-Szene nicht unüblich, in ihren Teen-Jahren pensioniert zu werden“, schreibt die Ernährungswissenschaftlerin Martine C. Cartwright in der Fachzeitschrift Psychology Today. „Viele haben es in ihrem Erwachsenen-Leben schwer, denn die permanente Disziplin, die Diäten und die damit verbundene Körperwahrnehmung haben ihren Preis.“

Außerdem trage die mit den Posen und Kostümen einhergehende Sexualisierung der Mädchen schon im Kindergartenalter zu einem gefährlichen Selbstbild bei, wie der Bostoner Familientherapeut Carleton Kendrick erklärt: „Im Grunde bringen diese Wettbewerbe den Mädchen bei, dass es das Beste ist, sich als eine Ansammlung von Körperteilen zu betrachten, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Diese Fokussierung auf den Körper führt später zu Problemen.“

Wenn nach Jahren der Applaus und der Stolz der Eltern ausbleiben und die Pubertät samt Hautproblemen und Zahnspangen zuschlägt, ist das für Kinder, die gelernt haben, dass Attraktivität ihre wichtigste Eigenschaft ist, oft ein Schlag, von dem sich manche kaum erholen. Neben dem Erfolg und der Zustimmung des Publikums verlieren sie zumeist auch ihre besondere Stellung in der Familie, stehen vor Schulproblemen und müssen sich oft ganz neu in der Welt der Gleichaltrigen zurechtfinden. Und dabei den Verlust der gemeinsamen Zeit und ungeteilten Aufmerksamkeit (zumindest) der Mutter verarbeiten, mit der zuvor permanent geprobt, frisiert und kostümiert wurde. Die Probleme, mit denen die Geschwisterkinder der kleinen Pageant-Queens zu kämpfen haben, sind noch eine ganz eigene Geschichte.

Die Veranstalter argumentieren, es sei für Kinder doch bekanntermaßen ein Vergnügen, sich zu verkleiden. Ehrgeizige Pageant-Eltern geben oft im Verhältnis zu ihrem Einkommen ein Vermögen aus: „Die Kleider kosten zwischen 300 und 4000 Dollar, die Startgelder bei den großen Pageants liegen bei rund 400 Dollar und das professionelle Coaching bei 50 Dollar pro Sitzung“, berichtete Juana Myers, deren Tochter mit 18 Monaten ihren ersten Wettbewerb bestritt und später in der TV-Show „Toddlers & Tiaras“ auftrat. Da wollen die Mütter Erfolge sehen – was den Druck auf die Kleinen weiter erhöht.

Kostüme wie für 30-jährige Prostituierte

Paul Petersen engagiert sich mit seiner Stiftung „A Minor Consideration“ für die Rechte von Kindern im US-amerikanischen Showbusiness: „Ganz abgesehen von den Gefahren, die damit einhergehen, kleine Mädchen mit aufreizenden Kostümen wie 30-jährige Prostituierte auszustaffieren, geht es hier um eine Industrie, die weltweit rund fünf Milliarden Dollar umsetzt.“ Vor allem bei den TV-Produktionen seien die Umsätze enorm: „Die großen Shows haben jedes Mal zwei bis drei Millionen Zuschauer, die Entertainment-Industrie ist in den USA die einzige, für die die Bundesgesetze zum Schutz vor Kinderarbeit nicht zur Anwendung kommen.“

Bei den Kindern selbst käme von dem Geld meist nichts an, so Petersen, der einst ein Kinderstar war und aufgrund eigener Erfahrungen seine Stiftung ins Leben gerufen hat. Die Preisgelder für den Sieg bei den kleineren Pageants lägen häufig bei rund 100 Dollar – „das reicht meist nicht einmal für das Kostüm“, so der Aktivist. Die Höchstsummen bei den ganz großen Wettbewerben liegen bei 5000 bis 10.000 Dollar.

Warum aber investieren so viele Eltern Zeit, Geld und Tränen in eine mehr als zweifelhafte Karriere ihrer Kinder?

„Die meisten Familien in dieser Szene gehören der unteren Mittelklasse an und erhoffen sich dadurch für ihre Kinder, es in die Welt der TV-Stars zu schaffen“, ist Petersen überzeugt. „So wie andere Unsummen in die Football-Uniformen und Trainings ihrer Söhne stecken, zahlen diese für Kleider, Tanzunterricht und Make-up.“ Eine Rechnung, die für Petersen nicht nur moralisch nicht aufgeht: „Wenn diese Eltern die gleichen Mittel und den gleichen Ehrgeiz in ihr eigenes berufliches Fortkommen investieren würden, wären die Chancen, den Kindern ein besseres Leben bieten zu können, um ein Vielfaches höher.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Horror, Fußball und Mörderinnen
„Internationales Frauenfilmfestival“ in Köln und Dortmund Horror, Fußball und Mörderinnen
Zum Thema
Aus dem Ressort