Künstler aus Dänemark Bonner Kunstmuseum zeigt spannende Schau zum Stetten-Preis

BONN · Drei junge Künstler aus Dänemark bewerben sich mit ihren sehr heterogenen Arbeiten im Kunstmuseum um den Dorothea von Stetten Kunstpreis. Ein wenig ist sogar Tony Montana aus "Scarface" mit dabei.

Irgendwie kommt einem dieser prollige Macho mit der fetten Goldkette, dem weißen Anzug und dem roten Hemd mit spitzem Kragen bekannt vor. Dann liest man die Initialen „T. M.“. Fehlt als Hinweis noch, dass der angesprochene Mann rücksichtslos, brutal und irre ist. Sieht aus wie Tony Montana, von Al Pacino im legendären Mafiadrama „Scarface“ (1983) gespielt. Brian de Palmas Tony gelingt es letztlich nicht, sein Imperium zu halten.

Der von Cosmin Feraru verkörperte Taha – Bruder im Geiste von Tony Montana – in dem fantastischem Kurzfilm „The Republic of T. M.“ von Masar Sohail ist nicht minder gefährlich als Scarface, aber letztlich erfolgreicher in der Umsetzung seiner Ziele, der Erschaffung einer Gesellschaft. Sohails 15-minütiges Gewaltmelodram entpuppt sich als perfekt gefilmte, krude Sozialstudie.

Der gebürtige Rumäne Sohail, Amalie Smith aus Kopenhagen und der in Jerusalem geborene und in Bad Godesberg aufgewachsene Amitai Romm stellen drei junge Positionen aus Dänemark im Kunstmuseum Bonn zur Diskussion. Es ist der 18. Dorothea von Stetten Kunstpreis – benannt nach der 2011 verstorbenen Mäzenin –, und der dritte nach neuem Reglement, das Deutschlands Nachbarländer ins Visier nimmt.

Diesmal einigte man sich auf Dänemark, eine gute Wahl, wie die ausgezeichnete Ausstellung zeigt. Zehn dänische Kunstexperten recherchierten, nominierten dann neun Künstlerinnen und Künstler, die sich einer Jury stellten. Die drei Finalisten präsentieren sich nun im Kunstmuseum und hoffen auf den mit 10.000 Euro dotierten Stetten-Preis, der am Mittwoch ermittelt wird. Maximilian Rauschenbach, Wissenschaftlicher Volontär am Kunstmuseum, hat die Schau kuratiert.

Gibt es eine Gemeinsamkeit in den drei doch sehr heterogenen Beiträgen aus Dänemark, so ist es die Frage nach Systemen, die jeweils differenziert beantwortet wird. Sohails Film etwa skizziert die Schaffung eines sozialen Systems von der Planung bis zur Konstituierung einer Regierungsform, vom Benennen von Tieren und Pflanzen bis zur Definition von Grenzen und Feinden, ohne die laut Taha, der mehr flucht als sein Alter Ego Scarface und von „self fucking governance“ schwärmt, kein Zusammenhalt im Volk zu schaffen sei.

Es ist kein Wohlfahrtsstaat mit ausgeprägter Willkommenskultur, der Taha vorschwebt. Er fackelt die letzte Brücke nach Babylon ab. Am Ende schließt er die Augen und auf den Lidern liest man „Kill 'em all“, töte sie alle. Subtil vermengt Sohail Naturmystik, Zitat und Bewegungsdynamik.

Amalie Smith hat einen begehbaren Wissensraum zur Geschichte der Digitalisierung geschaffen, deren Anfänge sie in die Zeit der ersten Jacquardwebstühle 1785 ansiedelt. Die Lochkartensteuerung funktioniert nach dem auf 0 und 1 fußenden binären Prinzip. Smith lässt eine Lamellenwand durch den Raum laufen, auf die sie Bilder zum Thema appliziert oder projiziert. Moderne Webstücke hängen an der Wand, eine Tapisserie nach Hans Arp und ein bizarres, bunt verspieltes Stück, das mithilfe von Algorithmen von DeepDream hergestellt wurde. DeepDream ist eine Google-Software, die auf dem Prinzip eines künstlichen neuronalen Netzes basiert und faszinierende Bilder erzeugt, die Smith weben ließ.

Vom Traum des Computers zu einer Traumsequenz, die schon Sigmund Freud faszinierte. Amitai Romm erzählt anhand einer alten Bilderfolge der Zeitschrift Fidibus die Geschichte eines Knaben, der an einen Mast pinkelt. Immer mehr Wasser macht sich breit, ein Bach, ein Fluss, ein Ozean entsteht, auf dem ein Dampfer kreuzt. Das Wasser ist nicht mehr zu bändigen, das Gehirn kann die Eindrücke nicht mehr fassen, der Knabe wacht panisch aus seinem Traum auf.

Romm, der in seiner Kunst gerne Archaisches mit Science-Fiction verknüpft, dokumentiert hier Kreisläufe und Systeme des Lebens. Traumprozesse zählen da ebenso dazu wie körpereigene Vorgänge, etwa die Überlebensstrategien von Parasiten oder die Produktion von Schweiß. In anschaulichen Modellen geht Romm den Prozessen nach – und zeigt Gemeinsamkeiten auf, etwa zwischen neuzeitlichen Satellitenschüsseln und 520 Millionen Jahre alten archaischen Trilobiten-Fossilien. Man lernt nie aus.

Kunstmuseum Bonn; bis 30. September. Di-So 11-18, Mi bis 21 Uhr. Eröffnung. 20. Juni, 19 Uhr

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