Konzert in der Kölner Philharmonie Beethovens "Pastorale" als Höhepunkt

Köln · Als Chefin des City of Birmingham Symphony Orchestra ist die 31-jährige Mirga Gražinyte-Tyla Nachfolgerin von Simon Rattle, Sakari Oramo und Andris Nelsons: Jetzt waren Orchester und Dirigentin in Köln zu erleben.

 Chefin des City of Birmingham Symphony Orchestra: Mirga Gražinyte-Tyla

Chefin des City of Birmingham Symphony Orchestra: Mirga Gražinyte-Tyla

Foto: Frans Jansen

Es ist noch nicht sehr lange her, da waren Dirigentinnen an Chefpositionen großer Orchester so rar wie Priesterinnen in der katholischen Kirche. Doch mittlerweile ist etwas Bewegung in die Angelegenheit gekommen. Und es sind Persönlichkeiten wie die 31-jährige Litauerin Mirga Gražinyte-Tyla, die das Talent, Durchsetzungsvermögen, Charme und Charisma mitbringen, die Arbeit am Pult nicht allein den Männern zu überlassen.

Wegweisend für die Musikerin war übrigens eine Begegnung mit dem Dirigenten Kurt Masur während eines Beethoven-Meisterkurses in Bonn. „Als ich ihn zum ersten Mal sah, in der Beethovenhalle 2009“, erinnerte sie sich kürzlich in einem Interview, „war der erste Gedanke: ,Santa Claus!‘ So viel Güte, Ruhe, Großzügigkeit, Weisheit strahlte er aus. All diese Eigenschaften hatte er immer.“

Schon damals fiel das enorme Talent der zierlichen jungen Frau auf, ihre Kommunikationsfähigkeit und die elegante, selbstbewusste Art, den Taktstock zu führen. Sie wurde Masurs Assistentin, bald folgten feste Engagements unter anderem in Salzburg und Los Angeles. Im vergangenen Jahr holte das City of Birmingham Symphony Orchestra sie als Chefin auf die britische Insel, womit sie die Nachfolge von Sir Simon Rattle, Sakari Oramo und Andris Nelsons antrat. Eine Bilderbuchkarriere.

Sogar lange Haltetöne besitzen hier noch Leben

Dass die Fußstapfen dieser Dirigenten nicht zu groß sind, zeigte sie jetzt auch in einem bemerkenswerten Konzert in der Kölner Philharmonie. Das Programm war in seinem Zuschnitt so konventionell, dass es schon wieder eine Rarität war: Wolfgang Amadeus Mozarts Ouvertüre zur „Zauberflöte“, Frédéric Chopins Klavierkonzert Nr. 2 und Beethovens Sinfonie Nr. 6, die „Pastorale“.

In Mozarts Ouvertüre haucht sie jeder Stimme im kontrapunktischen Geflecht Leben ein, sie achtet penibel auf Details, die erst den Gesamtklang ergeben. Selbst in Chopins Konzert in f-Moll, wo das Orchester nur dann so richtig zum Zuge kommt, wenn der Pianist mal schweigt, klingt nichts nach Routine, sogar lange Haltetöne besitzen hier noch Leben. Für den Solisten des Abends, Rafał Blechacz, eine sehr angenehme Situation. Sein technisch brillantes und herzergreifend gesangliches Spiel kam vor diesem Klanghintergrund wunderbar zum Tragen.

Vor der „Pastorale“ kündigte sie dem Publikum in der sehr gut besuchten Philharmonie noch an, sich „eine kleine Freiheit“ zu nehmen. Die bestand darin, der Sinfonie sozusagen als Ouvertüre Jean Sibelius' „Szene mit Kranichen“ zu spielen. „Für alle, die mitgeflogen sind und bestimmt zurückkommen“, kündigte sie die melancholische, ursprünglich für Arvid Järnefets Drama „Der Tod“ geschriebene Musik an. Das Orchester spielte sie mit tief empfundener Innigkeit.

Dass sie Beethovens „Pastorale“ dann ohne Atempause attacca mit Sibelius verknüpfte, barg einen ziemlichen Überraschungseffekt, der die Ohren für Beethoven weit zu öffnen schien. Auch hier war Gražinyte-Tyla in ihrem Element. Ohne auf extreme Tempi zu setzen, gelang es ihr, die Musik ungeheuer frisch klingen zu lassen. Sei es in der Dynamik der minimalistischen Motivwiederholungen des ersten Satzes oder in der Ruhe des zweiten, der „Szene am Bach“. Und wenn sie am Ende im letzten Satz ein großes Orchestercrescendo aufbaut, verschlägt es einem den Atem.

Und wenn sie am Ende im letzten Satz ein großes Orchestercrecendo aufbaut, verschlägt es einem den Atem. Nach dem großen Juble gab's noch die klanglich perfekt austarierte Pizziccato-Polka der Strauß-Brüder Johann und Josef. Hinreißend.

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