Lady Gaga im GA-Interview Auch nur ein Mensch

BONN · Die amerikanische Sängerin Lady Gaga bringt ein neues Album heraus. Und sie nimmt Abschied von ihrem Image als unnahbares, reichlich schräges Kunstprodukt.

 US-Sängerin Lady Gaga zeigt bei einem Interview in Berlin ihre Tätowierung am Arm.

US-Sängerin Lady Gaga zeigt bei einem Interview in Berlin ihre Tätowierung am Arm.

Foto: picture alliance / dpa

Die Sonnenbrille legt sie gleich zu Beginn des Gesprächs ab. Denn darum geht es ihr: Mit dem neuen Album „Joanne“ will Lady Gaga, die auch als Schauspielerin in der Serie „American Horror Story“ sowie 2017 im Remake des Musicals „A Star Is Born“ zu sehen ist, nicht mehr als unnahbares, reichlich schräges Kunstprodukt wahrgenommen werden. Sondern als Mensch wie du und ich, quasi als Gaga zum Anfassen. Vielleicht nimmt sie ihren Interviewpartner auch deshalb dauernd in den Arm. Mit Lady Gaga sprach Steffen Rüth.

GA: Lady Gaga, gerade war auf Fotos zu sehen, wie Sie mit Ihrem Dad im alten Mercedes durch Malibu fahren. Worauf sind Sie mehr stolz? Auf den Führerschein, den Sie im Juli gemacht haben? Oder aufs neue Album?

Lady Gaga: Ich bin auf beides stolz. Auf die neuen Songs sogar noch ein bisschen mehr. Weil das mehr Arbeit war. Autofahren zu lernen, das geht ja schnell. Diese neue Musik zu machen, das fühlte sich an wie eine Operation am offenen Herzen.

GA: Ist der Patient Lady Gaga, der an einem gebrochenen Herzen litt, auf dem Weg der Genesung?

Lady Gaga: Ja, ich fühle mich gut. Sehr gut sogar.

GA: „Perfect Illusion“ ist eine wilde Disco-Pop-Nummer, die an die 80er erinnert. Was war der Plan bei diesem Song, den Sie mit Mark Ronson produziert haben?

Lady Gaga: Einen ausgefuchsten Plan hatten wir bei diesem Stück nicht. Wir haben einfach geschrieben, geschrieben, geschrieben, an Piano oder Gitarre. In „Perfect Illusion“ steckt so viel Kraft, so viel Wut.

GA: Gegen wen richtet sich die Wut? Verarbeiten Sie Ihre Trennung von Taylor Kinney?

Lady Gaga: Die Wut richtet sich nicht gegen jemanden, ich bin zusammen mit jemandem wütend. Gemeinsam toben wir gegen verwirrende Gefühle, gegen die Stürme, die in uns wüten. In „Perfect Illusion“ steckt nicht die Spur von Hass oder Rache.

GA: Spielen wir nicht alle mit Illusionen? Sie als Popsängerin ganz besonders?

Lady Gaga: Wenn ich mir anschaue, was die Menschen in den sozialen Medien treiben, dann möchte ich Ihnen zustimmen. Du siehst fast nichts Wahres, Echtes, Authentisches mehr. Alles, was die Menschen von sich geben, sind gefilterte Informationen. Wo findet man da die Wahrheit? Oder die Bilder in den Fernsehnachrichten? Sind die echt?

GA: Was schließen Sie daraus?

Lady Gaga: Es ist wahnsinnig kompliziert, die wahren Gefühle, die tatsächlichen Realitäten zu erkennen. Wir Menschen lassen uns auch gern und leicht in die Irre leiten. Und letztlich sage ich in dem Song auch, dass es okay ist, wenn man sich getäuscht hat.

GA: Sie selbst sind einer der einflussreichsten Menschen der Welt.

Lady Gaga: Ach komm.

GA: Na, doch. Kaum jemand hat mehr Follower auf Twitter, kaum jemand wird stärker in den Medien beachtet als Lady Gaga.

Lady Gaga: Ja, und deshalb versuche ich, diese Filter abzubauen. Lasst uns die Illusion vergessen und einfach aufrichtig miteinander umgehen, die Sonnenbrillen ablegen und uns in die Augen blicken.

GA: Auf dem Single-Cover sehen Sie für Ihre Verhältnisse sehr natürlich aus. Sie springen in Shorts und T-Shirt im Sand herum. Ist das Teil einer Image-Abrüstung? Immerhin sind Sie die Frau mit dem Fleischkleid?

Lady Gaga: Fotos und Videos sind kein großes Mode-Statement von mir. Wichtig ist, dass mich die Menschen als wilden, vor Gefühlen überquellenden Menschen kennenlernen.

GA: Sind Sie also weniger Kunstprodukt als früher? Mehr „real“?

Lady Gaga: Ja. Das ist der Punkt im Leben, an dem ich mich befinde. Jedes Mal, wenn ich ein Album mache, werde ich selbst zu dieser Musik. Meine Mitstreiter auf diesem Album – Mark Ronson, Beck, Florence Welch, Kevin Parker, Blood Pop, Father John Misty – bestärken mich darin.

GA: Mit welchen Hintergedanken haben Sie diese coolen Indie-Rock-Typen als Partner gesucht?

Lady Gaga: Ich habe nicht gedacht: Hey, ich kaufe mir einen Haufen von Indie-Rock-Hipstern ein! Meine Überlegung war, von der Begabung dieser Künstler zu profitieren.

GA: Zum Beispiel?

Lady Gaga: Beck zum Beispiel ist der würdige Nachfolger von David Bowie. Jetzt mit ihm „Dancin‘ In Circles“ zu schreiben, war nicht nur eine euphorische Erfahrung, es hat auch mein Selbstwertgefühl enorm gehoben.

GA: Wovon handelt der Song?

Lady Gaga: Es geht darum, im Einklang mit seiner Einsamkeit zu sein.

GA: Haben Sie überhaupt die Chance, mal für sich zu sein?

Lady Gaga: Doch, natürlich. Ich bin nicht rund um die Uhr in Gesellschaft. Außerdem: Ich war schon in einem Raum mit 100 Menschen, mit 1000, mit 20 000, und ich habe mich tierisch einsam gefühlt.

GA: Woran liegt das?

Lady Gaga: Ach, nicht zuletzt an dieser Barriere. Ich werde immer und überall erkannt, das schränkt meine Freiheiten stark ein. Deshalb ist es mir so wichtig zu betonen: Ich bin genauso wie ihr. Auch nur ein Mensch. Jetzt gerade zum Beispiel machen wir beide einfach unseren Job. Lady Gaga zu sein, das ist mein Job.

GA: Wie persönlich ist der schöne Folk-Song „A Million Reasons“ mit der Zeile „There are a hundred reasons to walk away/ Maybe I need a good one to stay“?

Lady Gaga: Oh, sooo persönlich. Die Zahl der Menschen, denen ich mich nahe fühle, ist wirklich groß. Menschen, die mich auffingen, wenn ich das Gefühl hatte, mir wird der Boden unter den Füßen weggezogen. Das Lied ist diesen Menschen gewidmet.

GA: Haben Sie viele Freunde?

Lady Gaga: Ja, ich bin ein sozialer Mensch. Aber die wahre Kraft dieses Albums besteht darin, dass ich mir selbst endlich eine gute Freundin geworden bin.

GA: Sie setzen sich für humanitäre Zwecke ein. Was bewegt Sie?

Lady Gaga: Ich kann das Mitmenschliche gar nicht trennen von meiner übrigen Arbeit. Ich mag die Menschen. Liebe ist die Antwort auf alle Fragen. Ich glaube, der Gewalt mit Angst zu begegnen, ist der falsche Weg.

GA: War Ihr 30. Geburtstag im März ein besonderer Tag für Sie?

Lady Gaga: Ich bin komisch drauf, was diese Geburtstage angeht. Ich habe nämlich das Gefühl, dass 27 der viel größere Meilenstein war.

GA: Wieso das?

Lady Gaga: Weil ich mit 27 spürte, dass die 30 nicht mehr weit weg ist. Und weil ich allmählich kapierte, wie es ist, als „Popstar“ älter zu werden.

GA: Mit 27?

Lady Gaga: Ja, auf einmal fühlte ich mich diesem Druck ausgesetzt. Dabei sehe ich mich noch nicht einmal als „Popstar“, sondern als „Künstlerin“. Ich entschied damals, dass ich zu meinem jeweiligen Alter stehen werde. Ich halte mich heute für weiser, intelligenter, gebildeter als in meinen Zwanzigern.

GA: Der Titelsong „Joanne“ ist eine hübsche Ballade, in der es um die verstorbene Schwester Ihres Vaters geht. Sie starb sehr früh?

Lady Gaga: Ja, mit 19 Jahren. Als ich aufwuchs, bekam ich diese Trauer hautnah mit, ich wollte meinem Vater so gern helfen, aber ich habe als kleines Kind nicht verstanden, was ihn quälte. Auch „Joanne“ ist also ein Song, der hoffentlich heilt.

GA: „Joanne“ heißt auch das New Yorker Familienlokal, das von Ihrem Vater geleitet wird. Jetzt veröffentlichen Sie beide ein Kochbuch, es heißt „Joanne Trattoria Cookbook“.

Lady Gaga: Ja, ist das nicht wundervoll? Mein Vater Joe ist so ein bescheidener, lässiger, bodenständiger Mann, Und es war immer sein Traum, ein Restaurant zu haben. Jetzt haben wir eines.

GA: Welcher Typ von Lokal ist das?

Lady Gag: Kein typischer Promi-Schuppen, sondern eine familiäre Trattoria, in der wir unsere italienischen Wurzeln pflegen. Dad hat dieses Kochbuch zusammengestellt, ich habe das Vorwort geschrieben. Das sind alles Rezepte unserer Familie und unserer Köche.

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