Buchtipp Abschied von der Raute

Juli Zehs bitterböse und spannende Politsatire „Leere Herzen“ zeichnet ein düsteres Panorama des Jahres 2025, der Nach-Merkel-Ära

 Beklemmende Vision: Autorin Juli Zeh. FOTO: THOMAS MÜLLER

Beklemmende Vision: Autorin Juli Zeh. FOTO: THOMAS MÜLLER

Foto: Luchterhand

"Demokratie ist nicht mehr so romantisch wie vor 50 Jahren“, sagt einer. Wir schreiben das Jahr 2025, rund acht Jahre nach dem Rücktritt Angela Merkels. „Merkel muss weg!“, skandierte damals die Masse, es gab erzwungene Neuwahlen. Die BBB (Besorgte-Bürger-Bewegung) hatte einen epochalen Sieg eingefahren, die unterlegene CDU-Kanzlerin übernahm die Verantwortung. „Sie formte die Hände zur Raute und erklärte in ihrer unterkühlten, leicht lispelnden Art, dass sie im heutigen Wahlergebnis nicht nur eine Katastrophe für Deutschland, sondern das Scheitern ihrer persönlichen Laufbahn sehe“, schreibt Juli Zeh in ihrem neuen Roman „Leere Herzen“. Merkel verliert ihre selbstbeherrschte Fassade. „Dann verließ sie das Podium, die Schultern hochgezogen, und wirkte dabei plötzlich wie eine alte Frau.“

Enrico Stamm, Merkel-Fan durch und durch, hat es nie verkraftet, wie sein Idol so schmählich vom Platz gejagt wurde. Er wollte sich erst umbringen, radikalisierte sich zunehmend, träumte später von einem Umsturz, der die dann über 70-Jährige wieder auf den Thron bringen sollte. „Adenauer war dreiundsiebzig bei Amtsantritt.“

Stamms Emotionen, seine politische Haltung sind im Jahr 2025 ein seltenes Gut. Die BBB sitzt fest im Sattel, baut, offenbar durch keine Opposition gehindert, eine demokratische Errungenschaft nach der anderen ab. Eine „Bundeszentrale für Leitkultur“ gibt Ziele vor, das Land liegt in apolitischer Agonie. Bleierne Zeiten bei auskömmlichem Wohlstand. Die Kanzlerin heißt nicht Alice Weidel, aber irgendwie so ähnlich: Regula Freyer, die mit ihren „eng anliegenden Hosen und schnittigen Frisuren in der zweiten Legislaturperiode regiert“. Und Deutschland von Grund auf gesäubert hat.

Die Teestuben und Koranläden rund um den Bad Godesberger Theaterplatz seien unter Freyer verschwunden, konstatiert die gebürtige Bonnerin Zeh in ihrem kurzen Godesberg-Exkurs. Es habe Zeiten gegeben, da wollte man Bad Godesberg in Klein-Bagdad umbenennen. Die seien dank der BBB vorbei (die Innenministerin heißt bei Zeh übrigens Wagenknecht).

Die Autorin inszeniert dieses düstere Zukunftsbild mit geradezu perfider Präzision und einem Sinn für Spannung. Die spritzige Leichtigkeit und feine Ironie des Vorgängerromans „Unterleuten“ vermisst man allerdings. „Leere Herzen“, entnommen dem Song „Empty Hearts“ der fiktiven Molly Richter, ist ein deprimierendes Werk.

Terrorismus als Geschäftsfeld

Sogar die letzte Bastion des politischen Aktivismus, der Terrorismus, ist kanalisiert. Die Firma „Brücke“ – offiziell eine Heilpraxis für Psychotherapie – rekrutiert Suizidwillige und führt sie Gruppierungen zu, die Bedarf an Selbstmordattentätern haben. So bekommt alles seinen Sinn.

Es ist eine bitterböse, mitunter bewusst zynische Politsatire, die Juli Zeh geschrieben hat, eine beklemmende Dystopie. Zeh denkt das Undenkbare und schreibt es auf: Wie Suizidgefährdete mit dem Algorithmus „Lassie“ aus dem weltweiten Netz und dem Darknet gefischt, wie sie gecastet werden, sich Eignungsstufe um Eignungsstufe in immer brutaleren Tests bewähren müssen, bis quasi als Belohnung der „sinnvolle“ Suizid erlaubt wird. Die „Brücke“ versteht sich als „erster und bisher einziger Terrordienstleister der Republik“.

Britta und Babak sind die Köpfe der „Brücke“, beide illusionslose Gestalten der Post-Merkel-Ära. Bezeichnenderweise wächst ihr politisches Bewusstsein, als sie sich – den Angriff einer nebulösen Konkurrenz fürchtend – aufs platte Land flüchten, sich an das konspirative Leben der RAF-Terroristen erinnert fühlen und Britta bei 40 Grad Fieber die schärfsten Anschlagsträume hat. Der Zustand der Republik ist bedenklich. Aber die Menschen haben sich in ihrer Gleichgültigkeit eingerichtet, wie Zehs spitze, in ihrer Detailfreude geradezu boshaften Milieueinblicke suggerieren. Die Entscheidung zwischen Waschmaschine und Wahlrecht fällt klar zugunsten der Maschine aus. Dass die Rechtspopulisten am Ruder sind, stört keinen so richtig. Es läuft doch. Donald Trump und Wladmir Putin sind nun wirklich beste Freunde, haben den Syrienkrieg beendet. Jeder Bürger zieht sich zurück in seinem Kokon.

Bis, ja bis Britta, Barak und ihre Selbstmörder sich nach extrem spannenden Tagen im Untergrund aufmachen, die Demokratie zu retten. Am Ende etwas zu viel Politpädagogik auf einmal.

Juli Zeh: Leere Herzen. Roman. Luchterhand, 350 S. 20 Euro

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