Ausstellung zum Lutherjahr 500 Jahre „Luthereffekt“

Berlin · Das Deutsche Historische Museum Berlin spürt in einer großen Schau im Martin-Gropius-Bau den Einflüssen des Reformators auf die Welt nach

 Globaler Einfluss: Martin Luther im Kreise von Reformatoren, 1625/1650.

Globaler Einfluss: Martin Luther im Kreise von Reformatoren, 1625/1650.

Foto: Deutsches Historisches Museum

Eigentlich kann eine Ausstellung mit einem solchen Anspruch nur scheitern: 500 Jahre die weltweiten Auswirkungen des Protestantismus darstellen zu wollen, griffig als „Luthereffekt“ überschrieben, und dann auch noch als zentrale nationale Schau zum Lutherjahr. Wer will dieses Wirken der aktuell gut 800 Millionen Protestanten über fünf Jahrhunderte in den Griff bekommen, gar in neue Thesen angesichts der Vielzahl von evangelischen, lutherischen, freikirchlichen und anderen Strömungen?

Die Voraussetzungen für die über sieben Jahre hinweg konzipierte Ausstellung zum Lutherjubiläum sind gleichwohl gut: Die Schwester-Ausstellungen in Wittenberg und in der Wartburg decken die Wechselspiele zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Reformator und Deutschen ab, so kann die Berliner Ausstellung des Deutschen Historischen Museums im Martin-Gropius-Bau gleich auf die Welt zusteuern. Das Ergebnis nahm einem der Mit-Vorbereiter, dem Historiker Peter Burschel, den Atem. Für ihn liegt der Erfolg im Ansatz: „Vergessen Sie alles, was Sie über Protestantismus gelernt haben.“ Denn die Berliner Schau bedeute den Radikalverzicht auf alle gängigen Narrative.

Zupackend anders sind schon Start und Zentrum der Ausstellung im Innenhof des Gropius-Baus. Auf 500 Quadratmetern gestaltet der Künstler und Komponist Hans Peter Kuhn 500 Jahre „Übergang“. 200 weiß lackierte Aluminiumrohre, im Bau gewöhnlich als starre Stützen verwendet, geben dem Raum formändernde Dynamik. Um das Wesen des Protestantismus und seiner Weltwirkung auszudrücken, habe er über den Katholizismus nachgedacht, berichtet Kuhn, und dabei die Beichte als wesentlichen Unterschied ausgemacht. Katholiken ließen den direkten Zugang zu Gott nicht zu, den habe Luther eröffnet. Also ist der Raum nach oben zunächst verschlossen. Er öffnet sich beim Gang durch den Hof, aber es schließen sich gleichzeitig die Seiten – Kuhns Hinweis darauf, dass evangelische Pietisten so viel „zugemacht“ hätten.

Wer durch ist, dem öffnen sich dann doch die Seiten. Nämlich die Flügel des Baus, in denen aus vielen möglichen Facetten über vier Regionalverortungen bemerkenswerte Grundströmungen sichtbar werden: Schweden als erste raumgreifende Aneignung der neuen Lehre mit weit ins Weltliche reichendem Machtanspruch. Da liegt der Kampfanzug von Gustav Adolf neben einer Kanone. Und auf Transparenten machen lebensgroße Protestanten im Stimmengewirr auf aktuelle Aspekte aufmerksam. Antje Jackelén, die erste Erzbischöfin der Schwedischen Kirche, empfindet hier die Lehre „Gott ist größer“ als „heilsame Störung aller totalitären Ansprüche“. Doch keine zwei Meter weiter beschäftigt sich Tomas Colbengtson mit dem verbreiteten Schweigen zu den Übergriffen der lutherischen Kirche, als sie Volksgruppen und Minderheiten in den Protestantismus zwang: „Meine Generation kämpft darum, die Schäden zu heilen, die die Kirche der samischen Kultur zugefügt hat.“

Ein Kontinent von Zwang und Krieg entfernt liegt das „Heilige Experiment“, das der Quäker William Penn mit seiner Koloniegründung in Nordamerika verfolgte und das der Toleranz der Religionen galt. Eine transportable Kanzel verweist auf den großen Zug nach Westen im vermeintlichen Auftrag Gottes und die Verbreitung der lutherischen Lehre in der Frühzeit der Vereinigten Staaten. Radikal ehrlich die Spurensuche: In der einstmals sogar von einer protestantischen Mehrheit geprägten amerikanischen Religiosität sind den meisten die Verbindungen zu Luther nicht mehr bewusst. Dafür verbinden viele die amerikanische Eigenart, Bier und Schnaps in Papiertüten zu verbergen, mit einer freikirchlichen Abneigung gegen alles Alkoholische. Da sind sie wieder, und dieses Mal ganz konkret, jene Absperrungen im Glauben aus der raumgreifenden abstrakten Installation von Kuhn.

Die beiden Verortungen in „Schweden“ und „USA“ bilden zudem die Spannweite protestantischen Wirkens: hier die Staatskirche, die sich die Menschen auch gegen ihren Willen untertan macht, dort die säkulare Bewegung, die aus ihren religiösen Fundamenten heraus die amerikanische Sklaverei infrage stellt. Noch mehr Spannung ergibt sich aus den weiteren regionalen Anknüpfungspunkten. Da ist Tansania mit einer tief verwurzelten protestantischen Glaubensüberzeugung, die bis zu einer noch im letzten Sommer mitzuerlebenden (und in der Ausstellung großformatig präsenten) Teufelsaustreibung reicht. Und mit einer gerade in Berlin (20 Prozent Protestanten, 0,8 Prozent evangelische Kirchgänger) unvorstellbaren Fixierung: Für 95 Prozent der Menschen in Tansania ist ihr Glaube im Alltag „sehr wichtig“. Und da ist Korea und sein Versuch, den Protestantismus zu adaptieren und ihm ein asiatisches Gesicht zu geben: Faszinierend der Bilderzyklus von Kim Ki-chang, der den Messias als Koreaner zeigt – die Passion Jesu als Sinnbild für das Leiden eines unterdrückten Volkes. „Protestantismus ist kompliziert“, lautet die Erkenntnis von Projektleiterin Anne-Katrin Ziesak. Sie könnte dem „Luthereffekt“ als Untertitel dienen.

Folgen wir den koreanischen Massenpredigten bis zum Rand des Gropius-Baus. Wo Protestantismus wachsen konnte, weil er sich mit Forderungen nach politischer Unabhängigkeit verband, gehören auch aktuelle politische Vorstöße dazu. Drei Protestbanner aus Seoul liegen auf dem Boden, verlangen ein Ende des Verbotes, auch Positives über Nordkorea sagen zu dürfen.

Sie weisen aber auch Richtung Fenster, auf das Berliner Abgeordnetenhaus auf der anderen Straßenseite. Davor das Denkmal für den preußischen Freiherrn vom Stein. Vom großen Reformator und dessen globalen Wirkungen geht der Blick also zum großen Reformer. Aber dieser Effekt weist auf eine andere Geschichte.

Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau ist bis 5. November tägl. außer Di von 10 bis 19 Uhr geöffnet.

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