GA-Interview mit Dani Levy „Keine Angst vor Fehlern“

Bonn · Regisseur Dani Levy spricht über seinen Film „Die Welt der Wunderlichs", der gerade in die Kinos gekommen ist.

 Regisseur Dani Levy mit seiner Hauptdarstellerin Katharina Schüttler.

Regisseur Dani Levy mit seiner Hauptdarstellerin Katharina Schüttler.

Foto: dpa

Wie kamen Sie auf die Idee, eine Komödie um einen Katalog von psychischen Störungsmustern zu entwerfen?

Dani Levy: Psychische Störungen betreffen uns heute alle. Sie sind eine Reaktion auf ein anstrengendes Leben, an dem die Menschen verzweifeln, auf das sie mit Ängsten, Überforderung, Erschöpfung, Überstrukturieren oder Atemlosigkeit reagieren. Wir haben heute zum Glück einen viel bewussteren Umgang mit psychischen Störungen. Das Thema ist sehr viel weniger tabuisiert als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Es ist in den Medien, in unserem Freundes- und Bekanntenkreis, in unseren Familien, es wird immer normaler. Man kann heute sagen „Ich habe ein Burnout oder eine Depression“, ohne dafür wie ein Aussätziger behandelt zu werden. Ich wollte einen Film machen, der mit diesem Thema liebevoll und amüsant umgeht.

Und warum in Form einer Komödie?

Levy: In der Komödie waren Figuren mit psychischen Macken schon immer zu Hause. Die Komödie an sich nährt sich ja aus der Widersprüchlichkeit des Menschen, dem Scheitern und dem Nicht-Zurechtkommen der Menschen miteinander. Am Anfang stand die Idee, dass alle Figuren im Film ein starkes emotionales Problem haben sollten. Beim Recherchieren merkte ich, dass diese Störungen selten einzeln auftreten, sondern in Familienkonstellationen eingebunden sind. Deshalb lag der Gedanke nah, eine Familienaufstellung zu entwerfen, die über mehrere Generationen psychische Störungen in sich trägt.

Warum bieten Familien immer wieder einen solch fruchtbaren Boden für Komödien?

Levy: Erstens kennen wir uns alle aus, jeder von uns hat seine eigene Geschichte mit der Familie. Dann kann man ja nicht einfach aussteigen aus dem Club, in den man hineingeboren wird und dessen Mitgliedschaft sich nicht kündigen lässt. Die Komödie ist deshalb so ein gutes Genre für Familiengeschichten, weil Familien im Leben oft anstrengend und festgefahren sind. Es ist nicht so einfach, aus der eigenen Rolle herauszukommen. Hier kann die Komödie - im Gegensatz zur Tragödie und dem echten Leben - latente Lösungsvorschläge anbieten: Da gibt es Figuren, die Regeln verletzen, die ausbrechen, für etwas kämpfen, plötzlich Geheimnisse ausplaudern – all diese Elemente bringen in der Komödie die eingefahrenen Strukturen in Bewegung. Und schließlich haben Familienkomödien natürlich auch ein breites Identifikationspotenzial, das universell über alle Grenzen hinweg funktioniert.

Inwieweit sind hier auch Ihre eigenen Familienerfahrungen eingeflossen?

Levy: Meine Familie ist leider nicht so durchgedreht und vor allem nicht so durchlässig wie die Wunderlichs. Ich komme aus einer eher stillen, verstockten und verklemmten Familie. Die Atmosphäre war durchaus liebevoll, aber über Persönliches und Emotionales wurde sehr wenig gesprochen. Meine Mutter hatte eine Menge auszuhalten mit meinem Vater und mit uns Kindern, aber sie hat nie darüber geredet, wie es ihr eigentlich geht und was sie sich eigentlich wünscht. Meine Familie war eigentlich sehr hermetisch. Da sind die Wunderlichs im Film eine Art befreiender Gegenentwurf.

Im Zentrum der Geschichte stehen Mimi und ihr achtjähriger Sohn Felix. Was macht die besondere Dynamik einer solchen Mutter-Sohn-Konstellation im Alleinerziehenden-Modus aus?

Levy: Alleinerziehende Mütter haben eine Menge zu stemmen. Sie sind echte Alltagsheldinnen. Ich will das gar nicht idealisieren, weil es für viele die bessere von zwei schlechten Optionen ist und sie lieber allein mit einem Kind leben als in einer unglücklichen Beziehung. Die alleinerziehenden Mütter, die ich aus dem schulischen Umfeld meiner Kinder kenne, haben eine fürsorgliche, aber oft auch etwas symbiotische Beziehung zu ihren Kindern und sind dadurch ziemlich unfrei. Mimi kriegt trotz des chaotischen Familienumfeldes ihr Leben als alleinerziehende Mutter sehr gut geregelt, aber sie kommt dabei selbst zu kurz. Das eigentliche Thema des Filmes ist, dass Frauen immer noch von der gesellschaftlichen Konvention geprägt sind, ihre Wünsche und Träume hintanzustellen.

Casting-Shows werden normalerweise als eher zynische Veranstaltungen wahrgenommen. In Ihrem Film wird eine Casting-Show zum familientherapeutischen Katalysator...

Levy: Mir war gar nicht bewusst, wie sehr sich die Gemüter an diesen Casting-Shows scheiden. Im Film geht es ja nicht um Casting-Shows. Für mich war entscheidend, dass Mimi ein Ziel hat. Und da „Die Welt der Wunderlichs“ ein Musikfilm ist – ich liebe Musikfilme, es gibt viel zu wenige davon in Deutschland! – und Mimmi eine Singer-Songwriterin, erschien mir ein Musikwettbewerb einfach ein realistisches Modell, in dem Mimi sich als Musikerin bewähren muss.

Als Komödie ist „Die Welt der Wunderlichs“ von einem fast schon atemlosen Erzähltempo geprägt. Wie schreibt man eine solch rasante Komödie – im Rausch hintereinander weg oder mit viel Feinschleifarbeiten?

Levy: Ich bin eher ein triebhafter und kein konzeptioneller Schreiber. Es gibt ja Leute, die machen erst eine Szenenstruktur, dann ein Treatment, wissen irgendwann genau, wie die Geschichte aufgebaut ist und schreiben dann nach einem präzisen Fahrplan das Drehbuch. Diese Arbeitsweise hat mir nie gelegen. Wenn ich mit so einem Stoff anfange, habe ich meistens keine Ahnung, worauf die Geschichte hinauslaufen wird. Ich habe eine Idee und dann schreibe ich in einem fast rauschhaften Zustand eine erste Fassung. Da lasse ich mich selbst von der Geschichte überraschen.

Wie wichtig ist Improvisation beim Drehen für das Frischegefühl einer Komödie?

Levy: Textliche Improvisation lasse ich in der Regel wenig zu, weil das, was in der Improvisation entsteht, selten besser ist als das, an dem ich über Jahre gearbeitet habe. Aber ich gebe den Schauspielern einen großen Freiraum in der Begehung der Szene. Ich drehe immer mit mehreren Kameras. Bei mir gibt es keine Proben. Ich lasse die Schauspieler aus der Maske kommend einfach direkt losspielen. Es gibt einen Spielbereich, in dem sie sich relativ frei bewegen können. Wichtig ist mir, dass die Schauspieler keine Angst vor Fehlern haben. Wir probieren viel aus.

Humor ist ja immer eine riskante Angelegenheit. Das, was man selbst lustig findet, kann für andere gar nicht komisch sein. Wie erlangt man denn die richtige Balance zwischen dem eigenen Humorempfinden und einer Komik, die in die Breite strebt?

Levy: Ich muss gestehen, dass ich da immer noch im Dunkeln tappe. Klar gibt es Erfahrungen. Ich habe ja schon einige Komödien gedreht und bei jedem Film lerne ich dazu. Aber bei der Entwicklung des Drehbuchs und auch während der Arbeit am Set versuche ich, mich von dieser Frage zu lösen. Es würde mich verrückt machen, wenn ich immer darüber nachdenken müsste, ob dieser oder jener Witz jetzt von allen verstanden wird. Selbst im Schneideraum kann ich nicht genau sagen, was davon als lustig empfunden werden wird. Erst der Kontakt mit dem Publikum bei den Vorführungen eröffnet mir dann, wo ich richtig lag und wo nicht.

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