„Die Quote ist nichts Unanständiges“

Die ehemalige Bildungsministerin Annette Schavan ist derzeit Botschafterin im Vatikan. Hier spricht sie über Papst Franziskus, Frauenrechte, Bildung und ihren Werdegang. Die Fragen stellte Helge Matthiesen.

 Annette Schavan trat während der Zeit Willy Brandts in die CDU ein und bezeichnet sich als „konservative Feministin“.

Annette Schavan trat während der Zeit Willy Brandts in die CDU ein und bezeichnet sich als „konservative Feministin“.

Foto: picture alliance / dpa

Das Thema Bildung und Wissenschaft zieht sich wie ein roter Faden durch Ihre Biografie: Ruhm und Ehre gewinnt man in der Politik meist auf anderen Feldern. Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?

Annette Schavan: Bildungspolitik ist so etwas wie die Visitenkarte einer Gesellschaft. Gerade auf der Ebene eines Bundeslandes ist es das wichtigste Ministerium, mit dem man das allermeiste gestalten kann. Die Themen sind immer verbunden mit der Frage nach dem Leben der nächsten Generation. Man bekommt da immer etwas auf die Mütze, das muss man vorher wissen, denn es gibt ja keinen Zustand in der Bildungspolitik, wo alle sagen: Das ist ja super jetzt. Die Besuche in der Schule, die ich in Baden-Württemberg sehr regelmäßig gemacht habe, gehörten für mich zum inspirierendsten meiner politischen Arbeit. Wer wissen will, was in einer Gesellschaft los ist, wer einen Seismografen braucht – der muss in die Schulen gehen.

Haben Sie jemals vor einer Klasse Unterricht gegeben?

Schavan: Ich wollte Lehrerin werden und habe aus der Schlussphase meines Studiums eine minimale Erfahrung. Mein Berufsziel habe ich aufgegeben, als ich meine Stelle im Cusanuswerk angetreten habe. Bildung wird allgemein und von allen politischen Richtungen als sehr wichtig bezeichnet, als Schlüssel zur Zukunft. Das schlägt sich allerdings nicht immer in konkreter Politik nieder. Meistens wird nur auf die Frage nach der finanziellen Ausstattung verkürzt. Das habe ich auch so gemacht, denn genügend Geld ist sehr wichtig. Aber es muss klar sein, dass man gute Bildung nicht kaufen kann. Die Frage ist doch eigentlich, ob wir in einer bildungsbegeisterten Gesellschaft leben. Sind wir wirklich davon überzeugt, dass es ein Schlüssel zur Zukunft ist, und wie gehen wir mit diesem Schlüssel um? Den Ernst, mit dem eine Gesellschaft sich um Bildung kümmert, kann man auch nicht nur an Organisationsfragen festmachen.

Woran entscheidet sich der Erfolg von Schule?

Schavan: Am Willen und an der Begeisterung einer Gesellschaft für ihre Schulen und für ihre Lehrerinnen und Lehrer.

Stimmen da die Verhältnisse in Deutschland?

Schavan: Am wenigsten stimmen sie bei den Lehrern. Eigentlich müssen die besten eines Jahrgangs Lehrer werden. Das habe ich immer gefordert und das wurde gerne belächelt. Aber im Grunde ist das richtig. Wenn so viel davon abhängt, wie alle sagen, dann müssen wir genau darauf hinwirken. Und die Gesellschaft muss solidarisch sein mit den Schulen und mit denen, die da arbeiten. Würden wir eine Aufbruchsstimmung für die Schule hinbekommen, dann wäre vieles einfacher.

Ist es leichter, politisch etwas für die Wissenschaft zu bewegen?

Schavan: Das ist eindeutig einfacher. Hier glaubt schon mal nicht jeder, dass er mitreden könnte. Außerdem sind damit Fragen verbunden, die allgemein als wichtig gelten. Beim Klima zum Beispiel geht es um eine Überlebens-frage und sehr konkrete Probleme. In einer älter werdenden Gesellschaft geht es um Konsequenzen für die Medizin und die ganze Bevölkerung. Das ist viel klarer zu vermitteln – auch im Kontext einer Regierung.

Sie sind 1973 in die CDU eingetreten. War dieses Thema damals schon vor-gezeichnet?

Schavan: Die Themen meines beruf-lichen Lebens sind Bildung, Innovation und Religion. Die Reihenfolge ist austauschbar. Aber Wissenschaft war nicht der Anfang. 1973 habe ich als sachkundige Bürgerin im Umwelt- und im Schulausschuss in der Kommunalpolitik in Neuss begonnen. Die 15 Jahre anschließend beim Cusanuswerk waren dann die beste Phase meiner beruflichen Laufbahn. Wahrscheinlich, weil ich ganz unmittelbar mit jungen Menschen arbeiten konnte.

1973 war die Zeit von Willy Brandt – warum war die CDU damals für Sie die richtige Partei?

Schavan: In meiner Familie war niemand Mitglied einer Partei. Ich war Schülersprecherin. Die Zeit war geprägt von der Auseinandersetzung mit den jüngeren Nachfolgern der 68er Generation. Und dann ist die CDU einfach auf mich zugekommen. Kommunalpolitik ist jedenfalls die beste Schule für alles weitere. Sie können den Menschen ja nicht aus dem Weg gehen, sondern treffen auf dem Wochenmarkt all jene, für die sie Entscheidungen treffen, und müssen das vertreten. Bis zu meinem 40. Lebensjahr ging es ja nicht primär um Politik, auch wenn mich das Politische immer interessiert hat. Das kam erst mit meinem Wechsel nach Baden-Württemberg 1995.

Welche Rolle hat Ihre katholische Herkunft bei der Auswahl der Partei gespielt?

Schavan: Ich bin im katholischen Rheinland aufgewachsen, und katholisch sein war eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Man war das halt. Man erlebte das mit allen Sinnen. Dann habe ich mich entschieden, Theologie zu studieren, weil ich wissen wollte, was dran ist an den Dingen, die ich so selbstverständlich erlebt habe. Es gab enge Beziehungen zwischen der katholischen Jugendarbeit und der CDU. Mich hat dann angezogen, dass die Partei schon 1949 ein großes ökumenisches Projekt war. Die Partei war geprägt von Menschen, die die Verfolgung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt hatten und die das aus der christlichen Haltung heraus nie wieder erleben wollten. Das ist heute wieder sehr wichtig, denn dieses totalitäre Denken, diese zynischen, menschenfeindlichen Gedanken kommen ja in neuer Form immer wieder.

1987 hat Sie Rita Süssmuth in die Geschäftsführung der Frauenunion geholt. Ist das der Wendepunkt in ihrer Bio-grafie, der Übergang in die politische Arena?

Schavan: Das ist ein wichtiges Datum für mich. Da habe ich mich das erste Mal damit beschäftigt, ob Politik ein Teil meines Berufs sein könnte.

Braucht man solche Förderung, um in die Politik zu wechseln? Und hat man eine Karriere im Sinn, wenn man einen solchen Schritt geht?

Schavan: Es gibt Menschen, die haben ihre Karriere fest im Blick. Der realistischere Weg ist es aber, auf die Themen zu achten, die einen interessieren, und für was genau man politisch tätig werden möchte.

War das Thema Frauenpolitik wichtig für Sie?

Schavan: Ja, klar. Es war die Zeit, als der Essener Parteitag der CDU vorbereitet wurde, der sich nur mit dem Thema Frauen beschäftigen sollte. Das waren schon tolle Debatten.

Können Sie mit dem Feminismus von heute etwas anfangen?

Schavan: Ich habe immer gesagt, ich bin eine konservative Feministin – was ja schon eine etwas seltsame Kombination ist. Manches im Feminismus kam mir immer etwas sperrig vor. Aber ganz konkret: Als in Baden-Württemberg der Streit um das Kopftuch einer Lehrerin zum Thema wurde, da wurde Alice Schwarzer für mich zu einer ganz wichtigen Gesprächspartnerin. Und das ist so geblieben. Das ist mir auch sehr wichtig. Nur mit Leuten zu reden, die meiner Meinung sind, das ist doch ziemlich langweilig.

Hat man es in einer von Männern geprägten Partei wie der CDU als Frau schwer?

Schavan: Mal so und mal so: Wenn für eine Position gerade eine Frau gebraucht wird, dann hat man es ziemlich leicht. Dann darf man den richtigen Moment nicht vorbeiziehen lassen. Wenn die Männer aber der Meinung sind: „Jetzt ist mal einer von den 20 dran, die vorher eine Frau akzeptieren mussten“, dann ist das komplett anders.

Halten Sie Quoten für hilfreich, damit Frauen sich besser durchsetzen können?

Schavan: Ich habe lange gesagt, wir brauchen keine feste Quote, Qualität setzt sich von alleine durch. Das sehe ich inzwischen anders. Der nächsten Generation rate ich: Auf Qualität allein zu setzen, reicht nicht. Die Quote ist nichts Unanständiges. Manchmal ist so ein Mittel vorübergehend notwendig. Sie ist ein Impuls, der für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung interessant sein kann.

Ist das Ressort Wissenschaft eigentlich gut, um etwas zu bewegen?

Schavan: Wem es wichtig ist, viel auf der Bühne zu sein, für den ist dieses Ressort unbefriedigend. Wichtig ist die Frage, wie die Verbindungen in die Wissenschaft sind, wie man das eigene Haus voranbringt, welche Themen sich entwickeln lassen. Da kann man nicht immer nach der Öffentlichkeit und der Wirkung fragen.

Sie waren beim Mobilisieren von Geld sehr erfolgreich. Reicht das für eine erfolgreiche Wissenschaftspolitik?

Schavan: Nein, das reicht überhaupt nicht. Die Verdoppelung des Haushaltes ist nicht meine größte Tat. Das funktioniert nur, wenn es eine Grundlage in einer Regierung gibt. Der konzeptionelle Ansatz ist wichtig. Und das geht nur mit der Wissenschaft.

Worauf sind sie besonders stolz?

Schavan: Auf das Gesetz zur Anerkennung der im Ausland erworbenen Berufsabschlüsse. Das ist mir besonders wichtig, weil viele sehr kompetente Menschen hier leben, die niemand nach ihren Kompetenzen gefragt hat. Inte-gration kann nur gelingen, wenn wir denen, die zu uns kommen, Wertschätzung und Respekt entgegenbringen. Dazu gehört die Berufsausbildung. Das Zweite war die Gründung der deutschen Zentren zur Gesundheitsforschung. Eines ist hier in Bonn und kümmert sich um die Erforschung Neuro-degenerativer Erkrankungen. Es wurde vor fünf Jahren errichtet, und dort arbeiten heute schon 700 Wissenschaftler.

Hilft bei solchen Entscheidungen, dass Sie Bonn gut kennen?

Schavan: Bonn hat das Zentrum nicht bekommen, weil ich Bonn gut kenne. Ich finde, dass man die föderalen Strukturen ernstnehmen muss. Im Rheinland gab es Anknüpfungspunkte. Es muss nicht alles in ein Zentrum, und wenn der Rahmen stimmt, darf es auch Bonn sein. Wer durch das Land fährt, sollte an vielen Stellen interessante Forschung finden, und Bonn ist ein sehr interessanter Forschungsstandort. Die Entwicklung zeigt, dass die Entscheidung richtig war.

Als sie das Ministeramt im Streit um Ihre Dissertation verlassen mussten, ist Ihnen sehr viel Häme begegnet. Wie geht man damit um?

Schavan: Ich habe immer den Wunsch gehabt, das wegzustecken. Aber dafür muss man sich Zeit lassen, weil es nicht hilft, es einfach zu verdrängen. Das ist eine sehr einschneidende Erfahrung. Dabei hat mir Unterschiedliches geholfen, sicher auch der Wechsel nach Rom. Dann sind damit Erfahrungen verbunden, die für den Rest des Lebens eine Bedeutung behalten. Dazu gehört auch die Erfahrung von Häme. Wenn sie mir in Zukunft begegnet, werde ich damit leichter umgehen können.

Gab es auch Unterstützung?

Schavan: Das gehört zu den Dingen, die mir am meisten geholfen haben: Die Verbundenheit, die Freundschaft mit Menschen war in dieser Situation beinahe überwältigend. Ich habe in meinem Leben noch nie so viel Sympathie erfahren wie in dieser Situation. Das darf man auch nicht abtun, sondern muss es wahrnehmen als etwas, das Kraft gibt, um diesen Einschnitt zu verarbeiten.

Sie sind jetzt Botschafterin am Heiligen Stuhl in Rom. Was ist an Papst Franziskus so besonders?

Schavan: Wenn man ihm gegenübersteht, nachdem man durch viele Räume des apostolischen Hauses gegangen ist und die Atmosphäre des Erhabenen erlebt hat, dann nimmt der Papst alles Monumentale einfach weg. Es ist eine Unmittelbarkeit in der Zuwendung zu den Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes entwaffnend wirkt. Es ist vor allem die persönliche Begegnung. Seine Aufmerksamkeit, seine Klarheit der Sprache, die die Menschen verstehen können. Ganz offenkundig ist er fest entschlossen, zu einer Erneuerung der katholischen Kirche zu ermutigen. Vieles von dem findet man ganz am Anfang des Christentums. Das befördert die Ökumene, das Gespräch mit anderen Religionen. Dieser Papst will Erneuerung aus der Erinnerung. Er will dass der Glaube tiefer wird und die Verantwortung für die Menschen größer.

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