Das 16. Bonner Videofestival Ängste, Träume, Leidenschaften

Bonn · Kommende Woche startet das 16. Bonner Videofestival mit einem breiten Programm. 43 Beiträge sind im Wettbewerb – politisch, sinnlich, kontrovers. Wir stellen einige vor.

Im Mittelpunkt der Videonale.16 stehen die 43 Beiträge im Kunstmuseum Bonn. Es ist ein spannendes Feld. Wir stellen ein paar vor. Als sehr intime Dokumentation fixiert sich etwa der Film von Teboho Edkins „Initiation“ auf das Gesicht des jungen Mosaku aus dem südafrikanischen Lesotho, zeigt die verlegene Mimik, folgt der halb bewundernden, halb verunsicherten Erzählung über Mosakus älteren Bruder, der sich mit anderen Jugendlichen zwecks Initiation für fünf Monate in die Berge zurückgezogen hat. Der Bruder kommt verwandelt zurück: mit kehligem Gebrumm, machohafter, lässiger und doch leicht aggressiver Haltung und Sonnenbrille. Ein Mann.

Den Versuch einer Selbstinszenierung unternimmt Randa Maroufis meisterhafte Reportage „Le Park“. Die Kamera streift durch einen verlassenen Freizeitpark in Casablanca, aus dem Off hört man eine Radiosendung über Jugendgewalt im Internet. Und dann fängt die Kamera Jugendliche ein, die sich im Park zurückgezogen haben oder ihre Machtspielchen zelebrieren. Die Szenen sind in der Art von Tableaux vivants eingefroren, die Kamera schlängelt sich durch die fantastischen, unwirklich anmutenden Standbilder hindurch. Die Oase im Park ist kein Schutzraum: Eine Verhaftung am Ende bricht die Schein-Idylle.

Verglichen mit Louis Hendersons hochpolitischem Video „Black Code/Code Noir“ ist Maroufis Reportage pure Poesie. Henderson kreist um zwei Fälle von Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA: die Erschießungen von Kajieme Powell und Michael Brown im Jahr 2014. Um die wackeligen Handy-Videos vom Tatort und Rekon-struktionen herum collagiert er eine Fülle historischer Bezüge über den Rassismus gegen Schwarze, die er wiederum mit modernen Fahndungsmethoden und -algorithmen verbindet. Ein aggressives, beunruhigendes Video, das gegen Ende förmlich kollabiert.

Eine durch alltägliche Gewalt und eine allzu „liberale“ Schusswaffenpolitik in den USA traumatisierte Bevölkerung hat auch Kevin Jerome Eversons Film „Ears, Nose and Throat“ im Blick, der die Ängst personalisiert. Man sieht Shadeena Brooks beim HNO-Arzt beim Hörtest und wird von einem Erinnerungsstrudel fortgerissen. Der führt in eine dunkle Straße, in eine Nacht in Mansfield, Ohio, als Brooks Zeugin eines Mordes wurde. DeCarrio Antwan Couley wurde vor ihrer Haustür von einem Freund aus einem Streit heraus kaltblütig erschossen. In mehreren Ebenen umkreist das mit ruhigen Schwarz-Weiß-Bildern operierende Video diese traumatische Erfahrung.

Leben am Rand der Gesellschaft

Ein ebenfalls politisches, wenn auch sicherlich nicht im Brennpunkt der Aktualität stehendes Thema wendet Mora Zoitl in ihrer sehr intensiven Inszenierung „Außer Sichtweise – ganz nah“ . Sie hat Verkäufer der Straßenzeitung „Apropos“, mitunter ganze Familien aus Osteuropa, vor Johann Michael Sattlers 1829 gemaltes riesiges Panoramabild von Salzburg gruppiert. Wie in einem Historienbild zeigt sie die teils kantigen, teils fülligen, von Lebensspuren übersäten Gesichter – aus dem Off hört man die Geschichten der Protagonisten, Schilderungen aus der alten und der neuen Heimat, wie das Verkaufen der Zeitung das gebrochene Selbstwertgefühl wieder herstellt, aber auch, wie bescheiden es sich am Rand der Gesellschaft lebt, wenn die ganze Familie in einem Opel Zafira schlafen muss.

Die Videonale widmet sich in Gestalt von Julia Schers Film „Lip Sync 2015“ auch dem profanen Umgang mit dem Medium, das als Home-Video auch der bisweilen ans Peinliche grenzenden Selbstinszenierung vorbehalten ist. Freilich ist in „Lip Sync 2015“ alles etwas anders. Denn die Dame mittleren Alters, die ihre Lippen zu Miley Cyrus' Hit „Wrecking Ball“ bewegt und Tanzversuche unternimmt, befindet sich nicht im trauten Heim, sondern in einem unwirtlichen Büroflur. Und sie scheint nicht von ihrer eigenen Performance ergriffen zu sein, sondern reagiert zunehmend panisch, als sei sie sich plötzlich der Absurdität der Situation bewusst. Das Home-Video wird zum Überwachungs- und Entlarvungshorror.

Zuletzt noch etwas zum Träumen. In den 1980er Jahren kam kein Filmseminar ohne eine Analyse von John Cassavetes' Meisterwerk, der Gangsterstory „The Killing of a Chinese Bookie“ von 1976, aus („Die Ermordung eines chinesischen Buchmachers“). Geniales Spiel, insbesondere von Ben Gazzara als Cosmo Vitelli, tolle Location, atemberaubende Typen, fantastische Stimmung und Musik und eine suggestive, reportagehafte Handkamera, die alles festhielt. Benjamin Ramírez Pérez erinnert mit „Embellishements“ an diesen cineastischen Meilenstein. Nicht, indem er Szenen übernimmt, sondern indem er Zitate einstreut, die an Vitellis Nachtclub erinnern, und indem er die erotisch-mörderische Stimmung durch Musik aus Beyoncés „Drunk in Love“ und Posen aus deren gleichnamigem Video von 2014 auflädt. Wir sehen der Performerin Liad Hussein Kantorovicz beim Schminken zu und wie sie anschließend in Vitellis Club die Beyoncé gibt. Ein Ereignis.

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