Interview mit Rolf Bolwin „Wir können uns Kultur leisten“

Bonn · Nach 25 Jahren nimmt der Bonner Jurist Rolf Bolwin (66) als Geschäftsführender Direktor des Deutschen Bühnenvereins seinen Hut. Bernhard Hartmann sprach mit ihm über seine Jahre für das Theater.

Ende des Monats haben sie Ihren letzten Arbeitstag als Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins. Ist der Schreibtisch schon aufgeräumt?

Rolf Bolwin: Nein, aufgeräumt ist er noch nicht. Ich versuche gerade erst einmal, ihn ein bisschen freizuhalten von neuer Post. Mein Nachfolger Marc Grandmontagne soll schließlich ein geordnetes Büro vorfinden. Vielleicht muss ich da noch einen Weihnachtstag opfern.

Was war in dem Vierteljahrhundert die stärkste Konstante, die Sie und Ihre Arbeit begleitet hat?

Bolwin: Ich würde sagen, dass es dem Bühnenverein trotz großer Herausforderungen unterschiedlichster Art – und vor allem im finanziellen Bereich – gelungen ist, die Theater- und Orchesterlandschaft weitgehend zu erhalten. Wir haben ja nicht viele Theater verloren, und auch nicht viele Orchester. Es hat natürlich gerade bei den Orchestern eine Reihe von Fusionen gegeben. Auch bei den Theatern – vor allem in den neuen Ländern. Aber das alles diente ja doch mehr oder weniger dem Erhalt eines flächendeckenden Angebotes von Theatern und Orchestern. Das ist weitgehend gelungen.

Wie viele Menschen besuchen derzeit die Theater in Deutschland?

Bolwin: Wenn wir die Privattheater und die Konzertbetriebe mit einbeziehen, sind es über 39 Millionen.

Da kann man eigentlich ja nicht von einer Elite sprechen, die in die Theater und Konzerte geht...

Bolwin: Nein, es sei denn man definiert Elite so, dass es sich dabei um Menschen handelt, die offen sind, sich für die Welt und ihr eigenes Leben oder für einige grundsätzliche Fragen interessieren. Wer sich das Publikum in den Theatern und Konzerten – der Bühnenverein steht ja auch für die großen Klangkörper – ansieht, der weiß, das sind Besucher aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten. Die Theater und Orchester gestalten die Preise auch so, dass sich möglichst jeder eine Eintrittskarte leisten kann.

Hat sich an der sozialen Zusammensetzung des Publikums etwas geändert seit Anfang der 1990er?

Bolwin: Das ist schwer zu beurteilen, aber ich habe eher den Eindruck, es hat sich geöffnet. Was auch damit zu tun hat, dass die Kulturbetriebe immer versuchen, auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren. Wir können ja nicht ignorieren, dass wir in vielen Städten einen steigenden Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund haben. Es gibt zudem heute viel mehr ältere Menschen, die Zeit und Geld haben ins Theater zu gehen, gleichzeitig aber müssen wir die jungen Menschen einbinden.

Würden Sie zustimmen, dass dies beim Sprechtheater eher der Fall ist als bei der Oper?

Bolwin: Natürlich ist es im Musikbereich schwieriger. Doch es geht ja nicht immer nur um die intellektuelle Bewältigung des Lebens, sondern auch um die emotionale. Und alles, was Musik leistet, ist sehr stark von Emotionen getragen und führt zu Reaktionen bei den Menschen, in denen sie wieder in einen Reflexionsprozess eintreten. Gerade auch bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen kann die Musik einen Beitrag leisten. Es gibt Orchester, die gezielt Konzerte für Flüchtlinge veranstaltet haben, auch Opernhäuser, die Angebote für Flüchtlinge aufgelegt haben.

Kritiker sagen, das könne man auch mit weniger Theatern leisten.

Bolwin: Theater und Orchester bekommen viele öffentliche Mittel, da müssen wir uns einer Legitimationsdebatte auch stellen. Davor schrecke ich nicht zurück. Ich finde es absolut richtig, dass auch die Kultur den Bürgern immer erklärt, was sie mit diesen Mitteln macht. Da sind wir besser aufgestellt als manch anderer. Aber man darf nicht vergessen: Unsere Theater- und Konzertlandschaft ist eines der ganz großen Aushängeschilder unseres Landes. Sie ist mit ihrer kulturellen Vielfalt ein Alleinstellungsmerkmal. Wenn man nach Deutschland kommt, hat man in vielen – auch kleineren – Städten Museen, öffentliche und private Theater, Orchester und, wie auch hier in Bonn, eine kreative und lebendige freie Szene. Das ist etwas Besonderes, auf das wir stolz sein können statt ständig zu diskutieren, ob wir uns das leisten können. Ja, wir können es. Letzten Endes ist es gemessen an anderen Ausgaben doch eine überschaubare Summe, die wir für die Kultur ausgeben.

Der Bühnenverein repräsentiert die Arbeitgeberseite bei Tarifverhandlungen. Warum verhandeln die Gewerkschaften nicht direkt mit den Kommunen oder Ländern als ihren Arbeitgebern?

Bolwin: Wir haben ja glücklicherweise, was die Künstler, also Schauspieler, Tänzer, Musiker und andere künstlerische Berufe wie Dramaturgen oder Maskenbildner angeht, zwei große Flächentarifverträge, die für alle uns angeschlossenen Theaterbetriebe – und das sind ja nahezu alle Stadt- und Staatstheater und Landesbühnen sowie großen Klangkörper – gelten. Das hat den Vorteil, dass – bei allen Unterschieden vor Ort – bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen eine gewisse Einheitlichkeit besteht. Es gibt allerdings auch einige Haustarifverträge, die unter unserer Beteiligung abgeschlossen wurden.

Wie stellen sich solche Haustarifverträge dar?

Bolwin: Vor allem in den neuen Bundesländern gab es Theater, die im Vergütungsbereich etwas zu hoch eingestuft waren. In diesen Fällen haben wir einen solchen Haustarifvertrag abgeschlossen, damit alles finanzierbar bleibt und die Arbeitsplätze gesichert werden. Aber es gibt auch Städte mit den großen, bedeutenden Klangkörpern, die mehr zahlen als der Flächentarifvertrag vorsieht, um herausragende Musiker zu gewinnen und damit die Reputation eines Orchesters zu stärken. Dazu gehören zum Beispiel die Münchner Philharmoniker, das Staatsorchester Hamburg oder die Berliner Staatskapelle.

Das Bonner Beethoven Orchester ist personell gerade an der Grenze, um noch in der höchsten Tarifgruppe zu spielen. Es gab ja schon Diskussionen um einen weiteren Stellenabbau. Wie sehen Sie diese Problematik?

Bolwin: Das Orchester hat zweifelsohne eine hohe Reputation. Ich kann den neuen Generalmusikdirektor Dirk Kaftan, auf dessen Arbeit ich mich sehr freue, gut verstehen, hat er relativ klar gemacht, dass ihm in der Kürzung von Stellen Grenzen gesetzt sind. Was ich bedaure, ist, dass man für den Theaterbereich daraus nicht immer die richtigen Konsequenzen gezogen hat und aus dem Theater eine Sparnummer macht. Natürlich musste man im Theater einiges verändern – das haben wir ja auch mitgetragen –, und auch im Orchester hat man auf Besetzungen von Stellen verzichtet. Das geht gar nicht anders, nachdem die Bundesmittel weggefallen sind. Aber man muss die Grenze kennen. Ich wünsche mir sehr, dass sich das in Bonn – auch mit Blick auf das Beethovenjahr 2020 – beruhigt.

War es aus Ihrer Sicht wichtig, den Vertrag mit dem Bonner Generalintendanten Bernhard Helmich frühzeitig zu verlängern?

Bolwin: Absolut. Ich war sehr beruhigt, als ich hörte, dass die Verträge mit Nike Wagner und Bernhard Helmich verlängert worden sind und der neue Vertrag mit Dirk Kaftan zustande gekommen ist.

Sind Sie froh über das Scheitern der Bonner Festspielhauspläne?

Bolwin: Nein, das bin ich nicht. Ich bedaure es sehr. Man muss sich nur einmal fragen, woran es gelegen hat. Wenn man nach Bochum schaut, wo man für 40 Millionen Euro einen respektablen Konzertsaal gebaut hat, denke ich, wir hätten das in Bonn auch schaffen können, wenn man von Anfang an eine gewisse Bodenhaftung behalten hätte. In Bonn gab es mal wieder zu viele Träume und zu wenig Realismus.

Wenn Sie Ende des Monats Ihre Bürotür hinter sich schließen, werden Sie wahrscheinlich nicht in ein Loch fallen. Was haben Sie vor?

Bolwin: Ich lasse ja nur meine Aufgabe als Geschäftsführender Direktor des Bühnenvereins hinter mir und gebe die Verantwortung in jüngere Hände. Das muss nach 25 Jahren auch sein. Natürlich werde ich mich weiter beruflich betätigen und engagieren. Ich werde weiter als Herausgeber und Autor am juristischen Kommentar zum Bühnen- und Orchesterrecht arbeiten, auch als Rechtsanwalt werde ich der Kultur weiter zur Seite stehen. Und ich plane Stadtpunkt.kultur, ein Büro zur ideellen Förderung von Kultur und Kunst in den Städten. Ich werde auch weiterhin einer der Vorsitzenden im Beirat der Künstlersozialkasse bleiben. Es gibt also genug zu tun.

Sie leben ja in Bonn und werden hier ja wahrscheinlich auch weiter leben wollen...

Bolwin: Natürlich. Wir haben hier ja ein sehr schönes altes Haus in der Südstadt. Gleich in der Nachbarschaft zum Haus der Kultur.

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