Kommentar Die Debatte um den Solidarpakt: Wutkommunen

BONN · Das haben die Ruhrgebietskommunen geschickt eingefädelt: Kaum ist klar, dass NRW in wenigen Wochen wählt, kommen sie mit der Forderung nach Ende des Solidarpakts Ost um die Ecke. Nach dem Motto: Wahlkampfzeit ist Wahlversprechenszeit - zahlen können ja andere.

Doch man machte es sich zu leicht, wenn man die neu entflammte Debatte nur unter diesem taktischen Gesichtspunkt betrachtete. Denn, da hat Dortmunds sozialdemokratischer OB Ullrich Sierau Recht: "Im Ruhrgebiet brennt der Baum". Heißt: Die Städte - nicht nur an der Ruhr - wissen nicht mehr, woher sie das Geld nehmen sollen, mit dem sie seit Jahren Solidarität für die neuen Bundesländer zeigen. Sprichwörtlich: Im Osten müssen die Schlaglöcher erst gehackt werden, die dann mit Solidarpaktmitteln gestopft werden, im Westen bleiben sie offen oder werden nur notdürftig geflickt. Das ist keine Übertreibung, das ist Realität.

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat das in ihrer kurzen Regierungszeit erkannt und deshalb versucht, den notleidenden Kommunen an Rhein und Ruhr mit Landesmittel ein wenig aus der Patsche zu helfen. An einem der Kerne des Problems ändert das aber nichts: Die West-Städte mussten sich für den Fonds Deutsche Einheit, aus dem einst den Ost-Kommunen geholfen wurde, massiv zusätzlich verschulden. Das ist lange her, aber hat bis heute die beklagten gravierenden finanziellen Belastungen zur Folge. Formal hat das also mit dem Solidarpakt II nichts zu tun, politisch jede Menge.

Das Argument, Pacta sunt servanda, beschlossen ist beschlossen, hat auch in diesem Fall Gewicht. Darf man deshalb nicht über Korrekturen sprechen? Man kann es zumindest versuchen. Denn klar ist mittlerweile: Was im wesentlichen als Infrastrukturförderung gedacht war, hat seinen Zweck erfüllt. Da ist nicht mehr viel nötig. Falsch, sagen die Verteidiger des Pakts. Der Osten hinke dem Westen immer noch hinterher, was Wirtschaftsleistung, Lohnniveau, Beschäftigung angeht.

Richtig, aber das ist keine Aufgabe, die der Solidarpakt II leisten kann. Damit überfordert man ihn und schafft eben zugleich neue Probleme. Also muss die Devise heißen: nachbessern, so wie man es auch bei der Bildung im Rahmen der Föderalismusreform plant. Der Ostdeutsche Wolfgang Thierse hat dazu gestern einen "Ruhrsoli" vorgeschlagen, was eine gute Idee ist.

Keine gute Idee ist es dagegen, die Gegner des Solidarpakts II mit der moralische Keule zu bearbeiten, wie das ebenfalls Thierse, aber auch NRW-CDU-Chef Norbert Röttgen tut. Wer die Zahlungsverpflichtungen bis 2019 kritisiert, ist kein Feind der Einheit, kein Gegner von Solidarität, sondern schlicht jemand, der Fakten sprechen lässt. Solidarität darf keine Einbahnstraße sein? Genau. Das könnte man ja mal unter Beweis stellen.

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