Zur EU-Flüchtlingspolitik Wie in den 90ern

Freiheit, Zivilisation und Demokratie haben ihre Voraussetzungen. Zum Beispiel die, dass sie nur in einer offenen Gesellschaft gedeihen. Geschlossene Gesellschaften sind in aller Regel Diktaturen. Deshalb kann in der gegenwärtigen Flüchtlingsdebatte verschärfte Kontrolle sehr wohl ein Lösungsansatz sein, Abschottung aber nicht.

Prinzipiell sind sich die politischen Kräfte in der Bundesrepublik darüber einig, auch wenn der eine oder andere - gerade in Wahlkampfzeiten - den Eindruck zu erwecken sucht, es sei möglich, keine Flüchtlinge, generell keine Ausländer gar, aufzunehmen, oder wenn es den einen oder anderen geben mag, der sich die Mauer zurückwünscht.

Stichwort Mauer: Seit dem Wegfall des Eisernen Vorhangs hat sich die Flüchtlingsproblematik in Deutschland verschärft. Durch den Zerfall Jugoslawiens - beispielsweise - ist es zum Krieg und zu Massenflucht gekommen. Denn schon lange ist nicht mehr die angebliche Attraktivität deutscher Sozialleistungen der Hauptauslöser für Wanderungsbewegungen, sondern die Flucht vor Krieg. Dass es dabei dann vor allem die Bundesrepublik trifft, hat neben geografischen und familiären gewiss auch finanzielle Gründe.

Das heißt: Die Frage, wie die Flüchtlingsströme in Europa verteilt werden können, hat nichts mit dem politischen Asylrecht zu tun. Deshalb gibt es auch keinen Grund, an diesem Grundrecht weiter herumzudoktern. Richtig ist auch: Es widerspricht in keinster Weise dem Grundrecht auf Asyl, wenn über die entsprechenden Anträge schnell und klar und mit Konsequenz entschieden wird. Das heißt: Wer kein Asyl (oder Bleiberecht als Kriegsflüchtling) erhält, kann abgeschoben werden. Und wer beispielsweise in Frankreich Schutz vor Verfolgung gefunden hat, kann ihn in Deutschland nicht mehr einklagen. Eine vernünftige Regelung.

Unabhängig vom Asylrecht, ja unabhängig von der Rechtslage im Detail, wird es aber auch in den kommenden Jahren Tausende von Menschen geben, die vor Bürgerkriegen in die Länder der EU fliehen. Hier ist eine europäische Regelung überfällig, Es ist an der Zeit, dass die Flüchtlinge, die man ja nicht per Gesetz wegdefinieren kann, annähernd gleichmäßig auf die Staaten der EU verteilt werden. Es kann nicht länger angehen, dass eine mittlere deutsche Großstadt mehr Flüchtlinge aufnimmt als manches EU-Mitgliedsland. Deutschland - und Frankreich - haben hier aus humanitären Gründen eine Großzügigkeit gezeigt, die auf Dauer nicht durchzuhalten ist.

Eine Quotenregelung für die Staaten in der EU zu fordern, ist daher kein Zeichen von Ausländerfeindlichkeit, sondern eine Selbstverständlichkeit. Und es wäre auch nicht unstatthaft, wenn Berlin seine (Vor-)Leistungen mit ins Verhandlungspaket über den deutschen EU-Beitrag einbrächte.

Dieser leicht gekürzte Kommentar ist am 17. September 1998 im General-Anzeiger erschienen..

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