Kommentar Wahlsonntag in Griechenland - Der Wählerauftrag

Das Wichtigste zuerst: Griechenland ist - noch kein halbes Jahrhundert wieder - eine Demokratie. In der entscheidet der Wähler. Das hat er gestern getan. Klar und eindeutig. Dieses Wahlergebnis ist zu respektieren.

Im Land, in der Eurozone, in der EU. Ja, man kann es, wahrscheinlich muss man es auch so sehen: Die Griechen haben sich so deutlich für das linkspopulistische Bündnis Syriza entschieden, weil das Ausland so viel Druck gemacht hat, genau das nicht zu tun. Das kann man Trotz nennen oder auch Borniertheit - es ändert nichts.

Man stülpe die Lage des Landes nur für einen kurzen Moment dem eigenen Land über. Was würde der deutsche Wähler tun, wenn er ein Drittel seines Einkommens verloren hätte, wenn die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Jahren um 25 Prozent geschrumpft und wenn jeder Vierte arbeitslos wäre. Würde er dann "Weiter so!" und Frau Merkel wählen? Der Grieche auch nicht.

Jetzt müssen alle mit dem Ergebnis leben. Und sie werden es tun. Es wird alles viel weniger dramatisch kommen, als es in den Wochen vor der Wahl als Schreckgespenst an die Wand gemalt wurde. Syriza-Chef Alexis Tsipras hat sein wichtiges Ziel schon vor der Wahl fallen gelassen: Von einem Ausscheiden aus der Eurozone ist längst nicht mehr die Rede.

Auch der Grieche weiß, was er trotz allem am Euro hat. Aber Tsipras will seinem Volk sein Selbstbewusstsein wiedergeben - und deshalb mit Europa neu verhandeln. Das heißt: Es geht nicht um alles oder nichts, es geht nicht um schwarz oder weiß, es geht um Entgegenkommen.

Kein Volk hält es auf die Dauer aus, wenn so drastisch auf seine Kosten gespart wird. Gewiss, als Konsequenz daraus hat es Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung gegeben. Aber der Preis war zu hoch. Anders gesagt: EU-Europa hat zu viel zu schnell gewollt und die Griechen damit auch noch gedemütigt.

Das wird jetzt ein Ende haben müssen. Aber eben kein dramatisches. Athen bleibt in der Eurozone, aber die Sparmaßnahmen, die die Griechen mit einigem Recht als Diktate verstehen, müssen gelockert werden. Schuldenschnitt? Nein, so direkt nicht. Aber Streckung der Schuldenlast und niedrigere Verzinsung. Das schon.

Und sage keiner, die Eurozone habe sich darauf nicht längst vorbereitet. Noch ein Beispiel: Der öffentliche Dienst Griechenlands war in der Tat verlottert, Vetternwirtschaft gang und gäbe, gerne verbunden mit Wahl- und Stimmgeschenken. Die Therapie einer weitgehenden Privatisierung ist aber zu weit gegangen. So wie die Kürzung der Alterseinkommen.

Es wird also auf ein neues richtiges Maß ankommen. Syriza und ihr Chef werden sich dem nicht verweigern. Allein schon, weil sie vielleicht einen Koalitionspartner brauchen. Mit der reinen Lehre, die die fünf vergangenen Jahre gegolten hat, wird es auch unter diesem Gesichtspunkt nichts werden. Der Wählerauftrag entpuppt sich also als ein Lernauftrag - für alle.

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