Kommentar Urteil zur Vorratsdatenspeicherung - Hohes Gut

Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung war ein übler Sündenfall. Der europäischer Gesetzgeber hat sich zur faktischen Abschaffung der Privatsphäre entschlossen, ohne je nachweisen zu können, dass der Zugewinn an Sicherheit in einem vertretbaren Verhältnis zur Schwere des Eingriffs steht.

Sicher, dass Staaten ihre Bürger unter Generalverdacht stellten, ist keine Erfindung der EU. Aber diese Systeme glaubte man, überwunden zu haben. Es war nicht so.

Nun muss man zum Verständnis zweifellos die Situation und die Angst vor dem Terror in den Jahren 2004 und 2005 in Erinnerung rufen. Mit einer unvorstellbaren Brutalität ermordeten Terroristen Unschuldige in morgendlichen Bahnen und Bussen. Die Regierungen wollten alles tun, was dieses Grauen künftig unmöglich machen sollte.

Aber schon damals warnten Beobachter die Scharfmacher in den Hauptstädten, sie dürften nicht das Handwerk derer erledigen, die sie bekämpfen wollten: Denn die Verteidiger der Totalüberwachung pulverisierten einen der wichtigsten Grundwerte der Verfassungen in den Mitgliedstaaten: den Schutz des privat gesprochenen Wortes. Das gestrige Urteil gibt den Europäern die Gewissheit wieder, dass ihre Werte eben doch etwas wert sind.

Was nun kommt, muss hohen Ansprüchen genügen. Schwere Eingriffe in die Privatsphäre der Menschen haben sich an rechtsstaatlichen Vorgaben zu orientieren. Wer ausgeschnüffelt werden soll, muss belegbar auch im Verdacht stehen. Und selbst dann dürfen Daten nicht ewig vorgehalten werden. Das wird den Fahndern nicht gefallen, die - verständlicherweise - am liebsten aus dem Vollen schöpfen möchten. Aber sie müssen wissen, dass es Grenzen gibt, deren Überschreiten so schwer wiegt, dass es dazu besonderer Auflagen bedarf. Der Vorbehalt, dass nur ein Richter den Lauschangriff anordnen darf, gehört dazu.

Das bei Weitem schwierigste Problem wird aber der Schutz dieser gewonnenen Daten bleiben. Der Europäische Gerichtshof hat mit Recht auf die latente Gefahr verwiesen, die die Speicherung bei privaten Konzernen mit sich bringt. Der in diesen Monaten oft als Kronzeuge für miserablen Datenschutz zitierte Edward Snowden ist ein Beispiel dafür: Der Mann war ja nicht Angehöriger des US-Geheimdienstes NSA, sondern Mitarbeiter eines privaten Subunternehmens. Trotzdem konnte er Daten absaugen. Er deckte damit die unfassbaren Praktiken der Schnüffler auf. Wie viele andere vor ihm haben mit Informationen Schindluder getrieben, sie verkauft, sie missbraucht?

Im Schatten der Datenschutz-Debatte, die die EU seit einigen Monaten führt, wird man nun auch eine neue Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung basteln müssen. Und das ist gut so.

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