Kommentar Türkei - Maßlos

In der Türkei sorgt das israelische Vorgehen im Gaza-Streifen und das Leiden der Zivilbevölkerung dort für Empörung. Die Regierung Erdogan tut alles, um die Flammen der Wut weiter anzufachen. Der Ministerpräsident - der bald Staatspräsident werden will -vergleicht den jüdischen Staat mit den Nazis und wirft ihm Völkermord vor.

Erdogans maßlose Kritik hat den innenpolitischen Zweck, die vorhandene Abneigung in der Wählerschaft gegen Israel zu nutzen, um islamistische und nationalistische Wählergruppen an sich zu binden. Diese Taktik wird Erdogan vielleicht helfen. Der Türkei wird sie schaden.

Wenn Erdogan weitere Brücken zu Israel abbrennt und auch noch die USA verärgert, verstärkt er nur die regionalpolitische Isolierung seines Landes. Die wüsten Attacken gegen Israel kommen vor allem vom Premier selbst und anderen führenden Politikern der Regierungspartei AKP - weniger vom türkischen Außenamt, das Krisen wie die in Nahost möglicherweise etwas kühler betrachtet.

Aber die Diplomaten haben nicht viel zu sagen in Ankara. Es ist Erdogan, der mit seinen rhetorischen Ausfällen die Maßstäbe in der türkischen Hauptstadt setzt. Es ist kein Wunder, dass sich Antisemiten in der Türkei von diesem Kurs bestärkt fühlen, auch wenn das gegen den erklärten Willen des Premiers geschieht, der dazu aufruft, zwischen dem Staat Israel und jüdischen Bürgern zu unterscheiden.

Erst vor wenigen Tagen wurde erstmals eine Synagoge in Istanbul von aufgebrachten Demonstranten attackiert. Islamistische Organisationen und Medien machen die Juden in der Türkei mitverantwortlich für das, was Israel in Gaza tut.

Die Hitzköpfe kümmern sich nicht darum, dass die türkischen Juden - deren Familien teilweise seit Jahrhunderten in Istanbul und Anatolien leben - ebenso wenig mit dem hebräischen Staat zu tun haben wie andere Türken.

Mittelfristig verbaut Erdogan seinem Land eine Rückkehr zu jener Rolle, die es eigentlich im Nahen Osten spielen will: die eines Akteurs, der mit allen Konfliktparteien in der Region reden und bei der Lösung von Krisen helfen kann. Noch vor wenigen Jahren vermittelte Erdogans Regierung zwischen Israel und Syrien. Heute liegt sie mit den Regierungen beider Länder im Streit und fällt als Vermittler aus. Im Gaza-Konflikt steht Erdogan klar auf der Seite von Hamas.

Der Ministerpräsident setzt mit seiner Aggressivität gegen Israel einen Trend fort, der die Türkei in den vergangenen Jahren immer weiter in eine Ecke bugsiert hat: Auch mit dem Irak und mit Ägypten hat sich Ankara überworfen. Offiziell steht die türkische Außenpolitik immer noch unter dem Motto "Null Probleme mit den Nachbarn". Mittlerweile lautet eine korrektere Beschreibung allerdings "Null Freunde unter den Nachbarn".

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