Kommentar Das 100-Tage-Programm der SPD - Steinbrücks Lauf

Wer nicht an den Sieg glaubt, hat schon verloren. Peer Steinbrück muss daran glauben. Noch 23 Tage bis zur Wahl. Spätestens dann holen ihn Prozentpunkte aus dem Modus der Autosuggestion heraus, mit der Steinbrück derzeit sich und seinen Glauben an eine Wende im Kampf um die Macht im Kanzleramt bestärkt.

Die Selbstbeschwörung ist ein probates Mittel in kritischen Phasen. Steinbrück hat noch nicht aufgegeben. Rein rechnerisch ist ein Sieg für ihn immer noch möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Die Frage ist nur: mit wem und zu welchem Preis?

Steinbrücks 100-Tage-Programm ist ein nächster Angriff auf die Bastion der Angela Merkel, die im Amt der Bundeskanzlerin, aber im Stile einer Präsidentin über Parteien und Problemen schwebend das Land mit einem Nicht-Angriffswahlkampf einlullt. Merkel beherrscht eine seltene Kunst. Sie kann Demobilisierung, wohl auch, weil die Attacke ihre Sache nicht ist. Dagegen wirken Steinbrücks Offensiven wie Frontalangriffe - gefährlich offen gegen eine Kanzlerin, derer die Mehrheit der Deutschen nicht überdrüssig ist.

Steinbrück und Rot-Grün liegen mit Abstand zurück in einem Wahlkampf, bei dem längst die zweite Halbzeit läuft. Merkel muss dieses Spiel nur über die Zeit bringen. Das wird für einen Arbeitssieg genügen. Steinbrück dagegen muss punkten und Strecke machen. Schon am Sonntag im einzigen TV-Duell mit Merkel muss er die Balance schaffen, anzugreifen, ohne dabei zu aggressiv den abendlichen Fernsehfrieden eines Millionenpublikums zu stören.

Natürlich setzt Steinbrück - wie auch Merkel - zunächst auf die eigene Stärke: die der Person, die der Partei, die des Programms. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn, einer solidarischen Mindestrente oder einer Mietpreisbremse besetzt der Spitzenkandidat Themen, die Merkel teilweise übernommen hat, weil, siehe Dumpinglöhne oder steigende Mieten, das Problem erkannt ist.

Am Ende aber brauchen Steinbrück und die SPD einen, vielleicht auch zwei Koalitionspartner. Die Grünen sind gesetzt. Doch für Rot-Grün allein wird es nach Stand der Dinge nicht reichen. Eine Ampel schließt bislang zumindest die FDP aus, eine rot-rot-grüne Koalition würde zu einem völlig unkalkulierbaren Unterfangen. Und mit Steinbrück wäre ein Linksbündnis ebenso wenig machbar wie der frühere Bundesfinanzminister für eine Große Koalition zur Verfügung steht. Da bleiben wirklich nicht mehr viele Optionen.

Okay, die Tage der Autosuggestion sind noch nicht zu Ende. Steinbrück rockt, Merkel wartet. Am Ende gibt es noch einen Parteichef, der heißt Sigmar Gabriel und hat für kurz nach der Wahl einen Parteikonvent angesetzt. Gabriel hat selbstredend Aktien im Rennen um die Macht. Er will, wie jeder Aktionär, genau: Gewinne machen.

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