Kommentar Steinbrück gegen Merkel - Patt im Duell

90 Minuten reichen schon im Fußball oft genug nicht, um eine Spiel zu entscheiden. Ganz sicher tun sie es nicht in der Politik: Nach dem Duell ist vor dem Duell.

Millionen Bürgern vor dem Fernsehschirm wird es am Sonntagabend (wieder) so ergangen sein, beim vierten TV-Duell in der deutschen Fernsehgeschichte. Der Herausforderer - aggressiver, konkreter, aber auch unruhiger - punktet, die Amtsinhaberin lässt sich, mit kleinen Ausnahmen, nicht aus der Ruhe (aber überraschend oft zu konkreten Aussagen) bringen. Patt im Duell.

Patt im Duell? Man kann das so sehen. Wenn man nur die 90 Minuten betrachtet. 90 Minuten im Fernsehen, die ob der starren Form der Sendung faktisch auf weniger schrumpfen. Wenn vier Moderatoren fragen durften, vorher festgelegt war, welche Themenblöcke "zugelassen" sind, wer die Anfangs-, wer die Schlussfrage bekam - dann kann auch ein Stefan Raab dem Format nicht viel mehr Leben einhauchen.

Dennoch war es für die beiden Spitzenkandidaten eine Riesenchance, die sie nach ihren Möglichkeiten genutzt haben. Denn nirgendwo sonst erreichen sie natürlich in 90 Minuten so ein Riesenpublikum. Deshalb ziehen auch alle Gegenargumente gegen diese Fernsehinszenierung nicht: Nicht die Tatsache, dass die kleineren Parteien ausgeschlossen waren. Hat jemand Rainer Brüderle wirklich vermisst?

Nicht die Tatsache, dass anders als etwa in den USA in Deutschland ja nicht zwei Spitzenkandidaten zur Wahl stehen, sondern ein Parlament. Aber hilft dieser Einwand wirklich? Gewiss: Wer SPD wählt, wählt Steinbrück. Aber weiß er auch, welche Koalition er wählt? Wer Angela Merkel wählt, wählt (vielleicht) auch die FDP. Aber vielleicht bekommt er auch Sigmar Gabriel. Dennoch: Die zwei Spitzenkandidaten von Sonntagabend sind nun mal die Alternative. Da hilft alles Demokratietheoriewälzen nichts.

Also: Hat es was gebracht, dieses Duell? Ja, es hat. Es hat erstens mobilisiert. Millionen interessieren sich plötzlich für einen Wahlkampf, den vorher so gut wie niemanden beachtete. Das ist angesichts der hohen Rate von Unentschlossenen (39 Prozent, sagt Allensbach) ein wichtiger Effekt.

Und zweitens: Man konnte am Sonntagabend etwas lernen. Zum Beispiel über die Konkretheit der Politik, die Union und SPD für die kommenden vier Jahre planen. Da hatte Steinbrück die Nase ganz klar vorn. Aber drittens: Entschieden hat dieses Duell nichts. Doch möglicherweise ändert es einen Trend.

Denn wer genau hingesehen hat, nicht nur am Sonntagabend, sondern die letzten 14 Tage, der konnte bemerken, dass ein Aufholprozess eingesetzt hat. Allensbach-Chefin Renate Köcher umschreibt das mit den Worten, dass die Union ihr Wählerpotenzial schon fast ausgeschöpft hat, die SPD dagegen noch nicht.

Darin liegt Steinbrücks Chance. Erst recht, wenn die Themen jetzt in den Vordergrund rücken, die den Menschen wirklich auf den Nägeln brennen: steigende Energiepreise, Steuern und Abgaben, steigende Belastungen wegen der Euro- und der Schuldenkrise und ein weiteres Aufgehen der Schere zwischen Arm und Reich. Das Duell war sicher keine Wende. Aber es kam genau zum richtigen Zeitpunkt: Willkommen im Wahlkampf!

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