Kommentar Schäubles EU-Vorstoß - Mehr oder weniger?

Auslöser war die Griechenland-Krise. Inzwischen hat sich die Debatte um die Zukunft Europas aber verselbstständigt. Die Forderungen könnten nicht unterschiedlicher sein. Großbritannien droht mit einem Brexit, also einem Ausstieg aus der EU, Griechenland unternimmt einen schmerzhaften Radikalreformkurs, um den ungewollten Grexit zu vermeiden. Dazwischen erschallen die Rufe derer, die mehr Europa fordern, um Krisen wie diese besser zu meistern.

Gerade erst haben sich der französische Präsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel für eine tiefere Eurozone, eine Union in der Union, stark gemacht. Ein Eurofinanzminister mit eigenen Ressourcen gehört zu dieser Idee, ebenso wie die eines eigenen Parlaments bis hin zu einer Wirtschaftsregierung. Denn eines haben die nervenzehrenden Verhandlungen der vergangenen Wochen mit der Athener Regierung gezeigt: So kann es nicht weitergehen.

Umso erstaunlicher scheint - zumindest auf den ersten Blick - der Vorschlag von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, die Kompetenzen der Kommission zu verringern. Dabei fügt er sich ins Konzept einer politischeren Union. Denn was der deutsche Kassenwart fordert, passt zu den Entwicklungen der vergangenen Wochen und Monate.

Ob nun in der Griechenland-Krise oder im Ringen um eine Lösung für den nicht anhalten wollenden Flüchtlingsstrom - immer wieder hat Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit eigenmächtigen Vorstößen seine europäische Idee vorangetrieben.

Der Stein, den Parlamentspräsident Martin Schulz mit der Einführung der Spitzenkandidaten bei der Europawahl ins Rollen gebracht hat, hat eine Lawine ausgelöst. Die Kommission, deren Präsident praktisch vom Volk gewählt wurde, sieht sich mehr und mehr als eine europäische Regierung - und agiert als solche.

Da scheint die Frage berechtigt, ob eine solche EU-Spitze noch in der Lage ist, gleichzeitig eine unabhängige Position einzunehmen - nämlich die der Hüterin der Verträge. Kann eine Kommission, die selbst politisch agiert, noch objektiv über Fragen des Wettbewerbs entscheiden? Dafür sorgen, dass die Regeln des Binnenmarkts eingehalten werden? Oder könnte diese Aufgabe nicht besser eine unabhängige Behörde übernehmen, die sich voll ihrer Aufgabe widmen könnte?

Mit der teilweisen Abgabe von Kompetenzen ließe sich ein viel größeres Problem lösen, mit dem die Union als Ganzes immer mehr zu kämpfen hat. Nicht nur in Großbritannien, beispielsweise auch in Frankreich und Ungarn empfinden viele den Druck aus Brüssel als übermächtig. Eine Kommission, die die Überwachung des Regelwerks einer Kontrollstelle überlassen würde, könnte leichter selbst neue Gesetzesvorschläge in Parlament und Rat einbringen - als Regierung agieren.

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