Kommentar Die SPD und die Große Koalition - Mindest-Anspruch

Die SPD befindet sich in einem Ausnahmezustand: Von den Grünen sind sie in Hessen schmählich brüskiert worden, weil diese ganz offensichtlich von einem Bündnis mit der CDU mehr halten als von einer Liaison mit den Sozialdemokraten. Und in Berlin führen sie ihr letztes Gefecht in Sachen Regierungsbeteiligung unter Kanzlerin Angela Merkel.

Und es ist eine paradoxe Schlacht: Die Parteispitze muss sich intern beinahe dafür entschuldigen, dass sie mit den Unionsparteien ein Bündnis einzugehen gedenkt. Es gibt an allen Ecken und Enden Denkverbote: Die Parteispitze darf nicht über personelle Vorstellungen öffentlich debattieren, weil sie den Vorwurf der Basis fürchtet, es gehe den Genossen um Gabriel nur um Pöstchen und Pfründe.

Ihr stakkatohaftes Beharren auf einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro schärft zwar das soziale Profil der Partei und hebt es von der inzwischen verhassten Schröder-Zeit ab. Sehr viel mehr als Abwehrhaltung hat die SPD aber nicht zu bieten. Man ist gegen die Maut für ausländische Pkw - nicht weil man kein Geld braucht, sondern die Diskriminierung von Ausländern verhindern will. Man ist gegen das Betreuungsgeld für Familien mit Babys. Man setzt auf die Gleichstellung von Homosexuellen. Am Ende scheint man bereit, einem Koalitions-Vertragswerk seine Zustimmung zu geben, das die wohl unsystematischste und schlampigst erarbeitete Leitlinie für politisches Handeln seit vielen Jahren darstellt.

Der Koalitionsvertrag ist nur eine betont nüchterne Auflistung von Einzelvorhaben. Die Chance zum großen Wurf, der das Wagnis Elefantenhochzeit gerechtfertigt hätte, wurde vertan. Und dies nicht ohne Kalkül. Denn innerparteilich brodelt es in der SPD an allen Ecken und Enden. Die Parteiführung hat Angst, dass eine ambitioniertere Version des Vertrages an den Mitgliedern gescheitert wäre. Und dies markiert das eigentliche Dilemma dieser zehrenden Acht-Runden-Gespräche: Jeder Diskussionsbeitrag, jede Formulierung, gar jede politische Ambition musste immer auf die Verträglichkeit mit der Mitgliederbefragung geprüft werden. 473.000 Genossen saßen quasi unsichtbar mit am Verhandlungstisch. Glaubt man den Stimmungsberichten von der Basis, so ist diese gespalten: Die Funktionärsebene lehnt eine große Koalition von ganzem Herzen ab. Die Mehrheit der Mitglieder denkt wie die Mehrheit der Deutschen, die ein solches Bündnis durchaus begrüßt.

Es spricht vieles dafür, dass die SPD mit ziemlich vielen Schrammen, aber ohne ernste innere Verletzungen die Koalitionsbildung 2013 überstehen wird. Der Auftritt reicht aber nicht für vier Jahre Koalitionsarbeit mit den Unionsparteien. Es droht die tägliche Demonstration der Zerrissenheit, die man aus der Zeit der schwarz-gelben Koalition kennengelernt hat.

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