Kommentar Russland - Frieden nicht in Sicht

Moskau · Die Weltöffentlichkeit hat sich daran gewöhnt, dass Wladimir Putins Worte und die Wirklichkeit oft wenig und manchmal gar nichts miteinander zu tun haben.

Seit einem Jahr versichert er, der Anschluss der Krim an Russland sei nötig gewesen, um die russischsprachige Bevölkerung der Halbinsel vor zu Gewalt bereiten ukrainischen Nationalisten zu schützen. Tatsächlich lebt die ebenso russischsprachige Bevölkerung in der ukrainischen Nachbarregion Cherson ohne russischen Schutz friedlich und unbehelligt weiter. Putins - von ihm auch heftig geleugnete - militärische Einmischung im Donbass brachte hingegen den ethnischen Russen dort tausendfachen Tod, Flucht und Not.

Tatsächlich besaß und besitzt Russland auf der Krim wie in der Ostukraine Interessen, deren Wahrung durchaus berechtigt waren und sind: eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit, soziale und verwandtschaftliche Verbindungen, die geopolitisch durchaus verzichtbare, für die russische Psyche aber sehr wichtige Marinebasis in Sewastopol. Russland, das die Ukraine mit Gas versorgte, Millionen ukrainische Gastarbeiter die Löhne bezahlte und traditionell enge Verbindungen in alle ukrainischen Behörden hinein pflegte, hätte genug politische, wirtschaftliche und informelle Mittel gehabt, um diese Interessen auch nach Janukowitschs Sturz zu verteidigen. So wie es das nach dessen erster Pleite gegen den prowestlichen Maidan 2004 erfolgreich getan hat. Mit genügend politischem Willen wäre es zehn Jahre später auch auf der sehr unpolitischen Krim möglich gewesen, eine passable Unabhängigkeitsbewegung nach katalanischem oder schottischem Muster zu organisieren, mit Aussicht auf eine politisch korrekte Volksabstimmung. Aber Putin wollte keine friedliche Lösung.

Russlands starker Mann hat sich in diesen zehn Jahren gewandelt. Die Invasion stellt nicht nur eine Zeitenwende dar, weil sie diverse europäische Nachkriegsspielregeln wie Unantastbarkeit der Nachbargrenzen oder Verhältnismäßigkeit der Mittel über den Haufen geworfen hat. Sondern weil die Führung des größten Landes Europas und der Welt beschlossen hat, zur Erreichung bestimmter Ziele statt langwieriger Diplomatie den Krieg zu wählen.

Putins Krieg ist postmodern, er hat viele Gesichter: Propagandakrieg via Russia Today. Als Aufstand getarnte Schleichinvasion im Donbass oder nervenstrapazierende Kampfjetscheinattacken über der Ostsee. Und die finale Drohung: die Alarmierung der russischen Atomstreitkräfte. Vorher aber hat Putins Russland mit dem Raub der Krim Prinzipien des freien Westens gebrochen. Putin hat seinen persönlichen Rubikon überschritten. Die Krim zurückzugeben, würde für ihn bedeuten, innenpolitische Selbstentmannung zu verüben. Schlimm für ihn und schlimm für alle: Wirklichen Frieden wird es in absehbarer Zukunft nicht geben.

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