Kommentar Rente - Später Alarm

Politisch kann man das Thema ganz schnell abhandeln: Der Aufstand der CDU-Wirtschaftspolitiker gegen die Rente mit 63 ist das, was Aufstände der christdemokratischen Mittelständler zuletzt immer gewesen sind: Stürmchen im Wasserglas.

Die Kräfteverhältnisse in der Partei haben sich verschoben. Seit Angela Merkel mit ihrem rasant marktliberalen Wahlprogramm von 2005 von den Wählern abgestraft worden war, hat sie ihre Union gezielt in die Nähe zur Sozialdemokratie geführt. Nicht zum Schaden der CDU. Zum Schaden des wirtschaftspolitischen Flügels allerdings schon.

Und diesmal haben die marktwirtschaftlich denkenden Unionskreise eine denkbar schlechte Ausgangsposition. Die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren steht im Koalitionsvertrag - mit Anrechnung der Arbeitslosenzeiten. Man hätte also viel früher Alarm schlagen müssen. Jetzt ist es zu spät. Für dieses Ungeschick - oder war es Feigheit? - darf man niemand anderen verantwortlich machen.

Aber inhaltlich sieht die Sache anders aus. Das Projekt sendet ein falsches Signal. Unsere Gesellschaft altert, und uns gehen die Fachkräfte aus. Wer beide Tendenzen zusammen denkt, kommt zwangsläufig zu einem Ergebnis: Wir sollten alles tun, um das Wissen der älteren Beschäftigten möglichst lange im Betrieb zu halten. Auf diesem Weg hat Deutschland Fortschritte erzielt: Die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer ist inzwischen auf 61,5 Prozent gewachsen. Zudem entlastet das Heraufsetzen des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre die Rentenkassen.

Die Rente mit 63 aber hat eine gegenteilige Botschaft. Und das von Arbeitsministerin Andrea Nahles präsentierte Modell geht weit über den Personenkreis hinaus, für den es noch einigermaßen einleuchtend ist. Es geht nun eben nicht mehr nur um denjenigen, der 45 Jahre lang ununterbrochen hart gearbeitet hat.

Eigentlich wäre ein ganz anderer Vorstoß angebracht: Nicht der kürzere, sondern der längere Verbleib der Beschäftigten im Betrieb müsste attraktiver gemacht werden, um Expertenwissen in den Unternehmen zu halten. Jedenfalls als Angebot. Etwa durch eine Lockerung bei Hinzuverdienst-Grenzen. Insofern haben die Wirtschaftspolitiker der Union, die sich nun zu spät zu Wort melden, immerhin die richtigen Argumente auf ihrer Seite.

Allerdings fiele ihr Lamento glaubhafter aus, wenn sie auch den zweiten Teil des rentenpolitischen Desasters mit gleicher Hingabe beklagten: die Mütterrente. Die ist ein sündhaft teures Schaufensterstück aus dem Warenhaus der Wünschbarkeiten, das zukunftsvergessen auf Kosten künftiger Generationen verschleudert wird. Aber es ist das Lieblingsprojekt der Kanzlerin. Da schweigt dann besser, wer noch etwas vorhat in der Union.

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