Kommentar Putin und die westliche Welt - Demagoge unter Druck

Das Treffen der führenden Wirtschaftsnationen der Welt in Brisbane hat einen erstaunlichen Bedeutungswandel sichtbar gemacht. In seinem Mittelpunkt stand nicht US-Präsident Barack Obama, sondern die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel - und als Buhmann Wladimir Putin, der russische Präsident und Aggressor im Ukraine-Konflikt.

Während Obama ihn genau so titulierte und sich der gastgebende australische Premier Toni Abbott sogar zu der Bemerkung "Halbstarker" verstieg, suchten die Deutsche und der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Dialog mit dem ersten Mann Russlands, der immer stärker Züge der Abgehobenheit, der Autokratie und der Arroganz zeigt. Die vorzeitige Abreise vom Gipfel garniert mit dem zynischen Hinweis, er müsse schließlich heute in Moskau wieder an seinem Arbeitsplatz sein, ist ein Beleg für diese Entwicklung.

Brisbane - ein Freizeitvergnügen? Gewiss nicht. Ganz im Gegenteil. Bis tief in die Nacht reihte sich Gespräch an Gespräch mit dem Ziel, den russischen Präsidenten zum Einlenken zu bewegen. Erfolg ungewiss. Und doch gibt es zu dieser Politik keine realistische Alternative.

Gerade die Bundesrepublik weiß, wie mühsam, aber letztlich auch erfolgreich die Politik des Wandels durch Annäherung war. Dass sie vom politischen Gegner als Wandel durch Anbiederung diffamiert wurde (und leider von dem einen oder anderen Sozialdemokraten auch so praktiziert wurde), ändert an ihrem Erfolg nichts.

Ein Erfolg übrigens, der nicht absehbar war - so wie heute. Vollends erfolgreich wurde diese Politik erst durch die sich anschließende Doppelstrategie des Drohens und Diskutierens. Helmut Schmidt hat sie entscheidend mitgeprägt. Und jetzt - viele Jahre später - Angela Merkel.

Sie kennt Putin besser, als das alle anderen Staats- oder Regierungschefs im Westen tun - noch aus seiner Zeit in Deutschland. Sie macht sich also keine Illusionen, verliert sogar ihre Haltung nicht, wenn der Russe sie demütigt, was er diesmal in Brisbane vermieden hat.

Merkel, assistiert von Juncker, redet - und Obama steht daneben. Wenn das nur Rollenverteilung wäre, wäre es geschickt. Doch es ist mehr als das: Obamas Rückzug aus vielen Teilen der Weltpolitik lässt auch seinen Einfluss schwinden. Für Putin ist er dennoch, anders als Merkel, der politische Gegner schlechthin, ist der Amerikaner doch das, was Putin so gerne sein möchte: anerkannt als einer der Mächtigsten dieser Welt.

Wer Putin demütigt, macht ihn aggressiv. Wer ihn ernst nimmt und ihm in allem Ernst antwortet, hat Chancen, zu Lösungen zu kommen. Denn die Isolierung Moskaus zeigt Wirkung: die Währung verfällt, die Unsicherheit über Investitionen steigt, das Kapital flieht. Das spürt auch Putin- trotz aller Popularität daheim.

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