Kommentar Persönlichkeit gesucht
Brüssel · Sollten die europäischen Staats- und Regierungschefs geglaubt haben, sie könnten nach der Sommerpause dort weitermachen, wo sie Mitte Juli aufgehört haben, entpuppt sich dies inzwischen als schwerer Irrtum. Mit unverminderter Wucht sind die Krisen im Irak, im Nahen Osten und in der Ukraine eskaliert.
In dieser Situation leistet sich die EU bisher einen offenen Führungsstreit. Noch ist nicht klar, wer künftig die Union vertritt - nach innen, nach außen, in der Euro-Gruppe. In den vergangenen Wochen haben vor allem einzelne Regierungschefs die Fäden gezogen - allen voran die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Das war gut so, weil beide mit ihren Aktivitäten die Dissonanz aus den übrigen Regierungshauptstädten übertönen können. Doch die Zeit, in der sich die EU-Diplomatie ausruhen konnte, weil die Bundesrepublik schon machte, muss vorbei sein. Diese Gemeinschaft braucht eine außenpolitisch agierende Persönlichkeit, eine Figur, die schon beeindruckt, wenn sie nur auftaucht. Europa kann es sich nicht leisten, wieder nur auf eine mittelmäßige Besetzung zu vertrauen, die dann den Außenministern nicht in die Quere kommt.
Als der frühere US-Außenminister Henry Kissinger seinen berühmten Satz von der "einen" Rufnummer sagte, unter der er einen europäischen Ansprechpartner erreichen wollte, meinte er nicht einen Telefonanschluss. Sondern einen ebenbürtigen, gewichtigen Vertreter aller EU-Staaten, mit dem er zusammen Krisen lösen konnte. Nicht weniger ist nötig - dringend.