Kommentar Peer Steinbrück - Provokation in Person

Kann man mit einer Debatte über die eigenen Vortragsverdienste, über das Gehalt der Kanzlerin oder das Berlin/Bonn-Gesetz eine Bundestagswahl gewinnen? Kann man nicht. Was also treibt den Kanzlerkandidaten der SPD, was treibt Peer Steinbrück? Er will vor allem eines: anders sein als die anderen, anders als der etablierte Politikbetrieb (als ob er nicht dazu gehörte).

Und das gelingt ihm derzeit auf bemerkenswerte Weise - ohne Rücksicht auf Verluste, wenn man so will. Die Kanzlerin frohlockt insgeheim (und vielleicht zu früh), SPD-Funktionäre ballen im Geheimen die Fäuste und der Kandidat fragt ganz arglos: War was?

Steinbrück hat gewusst, dass er seiner Partei einiges würde zumuten müssen. Dass er auch den (übrigen) Wählern einiges zumuten würde, war so nicht absehbar. Das führt zu bemerkenswerten Effekten: Der Kandidat, der keinen Wein unter fünf Euro kauft (und damit am Massenverhalten zielsicher vorbeigeht), beklagt das niedrige Gehalt des Bundeskanzlers und drei Viertel der Wähler folgen ihm auch da nicht.

Peer Steinbrück hat sich entschieden - das mag man falsch finden, das mag man für richtig halten, aber Respekt hat er dafür schon verdient. Der SPD-Kandidat will auch im Wahlkampf authentisch bleiben, seiner Partei nicht nach dem Mund reden (wiewohl er das auf dem Nominierungsparteitag getan hat) und dem Wähler eben auch nicht. Rundgespült - nein danke! Dann lieber die gezielte Provokation. Das ist - genau besehen - ein ziemliches Kontrastprogramm zur Kanzlerin.

Steinbrück hat ja auch da Recht: Merkel hat den vergangenen Bundestagswahlkampf gewonnen, indem sie die Wähler demobilisiert, Steinbrück meint: eingeschläfert, hat. Das kann man vom Herausforderer nun wirklich nicht behaupten. Er sagt, was er denkt - und manchmal meint man dabei vor Gericht zu stehen: "die Wahrheit, nichts als die Wahrheit".

Das ist natürlich ein Ritt auf der Rasierklinge. Das ist ungewohnt in Deutschland. Das verprellt die eigenen Genossen, das kann, siehe Vortragsverdienst, Kanzlerinnengehalt und Weinvorlieben, den einfachen Bürger verprellen.

Und trotzdem macht er es. Nicht weil er die Wahl schon verloren gegeben hat. Steinbrück versucht die Quadratur des Kreises. Immer wieder auf die Gefahr hin, missverstanden zu werden. Doch bisher hat er bei keinem Thema in der Sache wirklich daneben gelegen.

Selbst beim Bonn-Berlin-Thema nicht, so sensibel es für die Region naturgemäß ist. Der Vergleich ist weit hergeholt und überzogen: Schon einmal - bei der Ostpolitik - haben sich Sozialdemokraten dafür prügeln lassen müssen, dass sie Realitäten anerkennen wollten. Es ist eine Realität, dass die politischen Entscheider in Berlin sitzen. 23 Jahre nach der Einheit öfter denn je. Ein dauerhaftes Zukunftsmodell für Bonn muss diese Realitäten in Rechnung stellen.

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