Kommentar Paralympics - Große Gefühle

Eine ausgelassene Abschluss-Party am Sonntagabend und große Hoffnungen für die Zukunft: Den Paralympics, lange als Fußnote der Olympischen Spiele geringgeschätzt, ist in den vergangenen zwei Wochen erstmals in ihrer Geschichte der kommerzielle Durchbruch gelungen.

Mit 44 Millionen Euro Ticketerlösen hatten die Organisatoren der Paralympics ursprünglich gerechnet. Doch schon beim Kassensturz zum Finale am Sonntag konnten die Organisatoren einen neuen Bestwert verkünden: Die Erlöse liegen bei einer Rekordsumme von 56 Millionen Euro.

Dabei war die Medienberichterstattung in britischen Zeitungen vor Auftakt der Paralympics eher ambivalent. Tenor: Olympia 2012 hatte so viele magische Momente, dass sich kein besseres Großereignis mehr organisieren lässt. Die Verunsicherung war außerdem groß - Behinderung ist ein Thema, das im politisch korrekten Großbritannien nur mit rhetorischen Samthandschuhen oder am liebsten gar nicht angefasst wird.

Darf man jubeln, wenn ein Behinderter den anderen beim Rollstuhl-Rugby ausbremst? Ist es ok, neugierig nach Prothesen und verbotenen Leistungstricks zu fragen? Skeptiker, die nicht wussten, was in den zwei Wochen zu erwarten war, lästerten über die hohe Ticket-Nachfrage: Zu den Paralympics, so die Meinung, pilgerten nur die, die für Olympia keine Eintrittskarte abbekommen hatten.

Doch den Trostpreis-Verdacht hat die riesige Resonanz schnell widerlegt. Ob Usain Bolt oder Prothesenläufer Jonnie Peacock zum Sieg sprinteten, war erfrischend egal: Angefeuert wurden beide gleich euphorisch; beide Namen genießen inzwischen Star-Status. Angesichts der Leistungen vieler Athleten musste man fragen, welche Bedeutung man dem Wörtchen "Behinderung" überhaupt noch beimessen sollte.

Ironische Pointe dieses rasanten Imagewandels im Behindertensport: Die Diskussion um eine mögliche Überlegenheit des beinamputierten Oscar Pistorius gegenüber Nichtbehinderten ohne Prothesen.

Vier Milliarden Zuschauer sind diesen 14. Paralympics vor den Bildschirmen rund um den Globus gefolgt - doppelt so viele wie 2004 in Athen. Und das Medium Fernsehen hat - ein Novum selbst für Großbritannien, der Wiege der Paralympics - die Neujustierung des Blicks auf behinderte Sportler maßgeblich getrieben. Glamourös, ehrgeizig, fähig - ihr Können, nicht ihre Mängel, standen konsequent im Fokus.

Lektionen, Momente zum Nachdenken und große Gefühle hat es bei den Paralympics noch mehr gegeben als bei der Olympiade. Da ist das zweischneidige Glück der Sitzvolleyball-Mannschaft aus dem Iran, die professioneller als andere daherkommt, weil es in ihrer Heimat noch immer überdurchschnittlich viele Polio-Opfer gibt; oder das Sitz-Volleyball-Team aus Ruanda, in denen die einst buchstäblich bis aufs Blut verfeindeten Tutsi- und Hutu-Krieger nun Seite an Seite spielen; ein ausverkauftes Stadion, das still wird, damit blinde Weitspringer sich am Klatschen eines Taktgebers durch ihre Finsternis orientieren können.

Jetzt gilt es, die positiv veränderte Einstellung gegenüber behinderten Leistungsträgern auch im Alltag umzusetzen.

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