Papst-Enzyklika - Rot-Grün im Vatikan

ROM · Man kann über die katholische Kirche denken, wie man will. Unzweifelhaft ist, dass Papst Franziskus der Religionsgemeinschaft mit ihren 1,2 Milliarden Mitgliedern seit seinem Amtsantritt so viel Gehör wie lange nicht verschafft.

Mit Franziskus ist die katholische Kirche im öffentlichen Diskurs wieder präsent. Das liegt vor allem an der so greifbar wirkenden Persönlichkeit Jorge Mario Bergoglios, die sich in den meisten Fällen aufs Beste mit den Mechanismen des digitalen Zeitalters ergänzt, weil es die Unmittelbarkeit seines Auftretens bis in den hintersten Winkel der Welt fassbar macht.

Mit seiner Enzyklika "Laudato si'" über die menschliche Verantwortung für Umweltzerstörung und Umweltschutz zeigt der 78 Jahre alte Papst aus Argentinien Gespür für den Puls der Zeit. Päpstliche Rundschreiben werden meist nur von einem kleinen Publikum wahrgenommen. Wer erinnert sich etwa noch an Details aus der letzten, zu vier Händen von Benedikt XVI. und Franziskus gemeinsam verfassten Enzyklika "Lumen fidei" oder an die vorangegangenen Schreiben Joseph Ratzingers? Zuletzt erregte mit "Humanae vitae" ein Rundschreiben nachhaltige Aufmerksamkeit, weil Paul VI. darin künstliche Verhütungsmittel verbot. Das war 1968, auf dem Höhepunkt der sexuellen Revolution.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung und die Relevanz für Lebensfragen der Menschen sind entscheidend dafür, wie viele Zuhörer über die Grenzen des Katholizismus hinaus der Papst mit seinen Verlautbarungen für sich gewinnt. Mit "Laudato si'" hat Franziskus im Jahr 2015 deshalb ins Schwarze getroffen. Wenn es ein Thema gibt, das alle Menschen und eben nicht nur Katholiken gleichermaßen betrifft, dann ist es der Klimawandel mit seinen dramatischen Folgen.

Auch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. warnten bereits vor Umweltzerstörung. Dass Franziskus als Oberhaupt der katholischen Kirche diesem Thema erstmals eine ganze Abhandlung widmet und sie ins Zentrum seines Denkens stellt, zeigt, dass die katholische Kirche in den entscheidenden Menschheitsfragen ein gewichtiges Wort mitreden will und kann.

Es wäre allerdings stark verkürzt, Franziskus nun schlicht als grünen Papst abzustempeln, der eben auch die Gefahren des Treibhauseffekts mit allen Folgen erkannt hat. Seine detaillierte Analyse der Umweltzerstörung samt Lösungsvorschlägen ist für ihn nur der Ausgangspunkt für eine verheerende Kapitalismuskritik mit dem berechtigten Hinweis, dass vom Raubbau an der Erde nur einige wenige profitieren, die Ärmsten durch ihn hingegen noch ärmer werden. Blinder Fortschrittsglaube, Konsumismus und die ungezügelte Macht der Hochfinanz sind die eigentlichen Sorgenkinder dieses Papstes, der, will man in der politischen Farbenlehre bleiben, mindestens so rot schreibt wie grün.

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