Kommentar Obama und die Syrien-Krise - Respekt!

Barack Obama wird den roten Stift, mit dem er Linien zur Eindämmung von Despoten in aller Welt zieht, hoffentlich in einer tiefer gelegenen Schublade verstauen. Jene rote Linie jedenfalls, die Baschar al-Assad davon abhalten sollte, Chemiewaffen einzusetzen, wird nicht dem syrischen Diktator zum Verhängnis, sondern dem US-Präsidenten selbst.

Er hat nun die Wahl, einen ebenso unlogischen wie gefährlichen Militärschlag auszuüben, dessen Sinn er selbst kaum mehr erkennen mag, oder als ein Möchtegern-Weltpolizist dazustehen, dessen stärkste Waffen lächerlich leere Drohungen sind. Und weil er dieses Dilemma erkannt hat, macht er jetzt erst einmal: nichts.

Obama zaudert. Er spielt auf Zeit. Er schiebt die Verantwortung dem US-Kongress zu und startet so ein zynisches Showprogramm, das strategisch und auch moralisch höchst fragwürdig ist. Dieses vor den Augen der Weltöffentlichkeit demonstrierte Politiksurrogat wird vor allem im Hause Assad seine Wirkung nicht verfehlen.

Spätestens seit diesem Wochenende weiß er, dass er noch so viele rote Linien überschreiten kann. Der "Denkzettel", den er zu erwarten hat, wird nicht die Vertreibung aus dem Amt sein. Die Weltpolizei verhängt, wenn überhaupt, ein verkraftbares Bußgeld. Sie will nicht den einen Verbrecher wegsperren, um Platz für den nächsten zu schaffen. Da stellt sich freilich die Frage: Wozu dann das De-facto-Memorandum?

Bei der Suche nach einem sicheren Ort für seinen roten Stift wird Obama in den nächsten Tagen immer klarer werden, dass das Spiel auf Zeit erstens für sich genommen bereits Glaubwürdigkeit zerstört und zweitens auch sonst kein einziges Problem löst. Vielmehr entstehen neue politische Risiken. Man stelle sich nur einmal vor, der Kongress pfeift den US-Präsidenten, ganz nach dem jüngsten Vorbild des britischen Unterhauses, wie einen dummen Schuljungen zurück. Aus dem vermeintlich mächtigsten würde der ohnmächtigste Mann der Welt.

Wahrscheinlicher ist, dass der Kongress für einen Militärschlag stimmt. Dann haben wir die unveränderte Situation, dass mit der ersten US-Rakete, die in Syrien ohne Legitimation durch den weiterhin blockierten UN-Sicherheitsrat einschlägt, der Ball im Feld Assads liegt.

Von diesem Moment an droht, weil der Nahe Osten eine Region der Irrationalitäten ist, die denkbar verrückteste Reaktion: Angriffe auf Israel etwa und/oder Terrorattacken auf US-Einrichtungen und/oder sogar der neuerliche Einsatz von Giftgas. Man traut sich kaum, hier einmal mehr die abgenutzte Metapher vom Pulverfass zu bemühen.

Wie immer Assad sich auch rächen wird: Die USA brauchen ihn, weil es in diesem Bürgerkrieg keine "Guten" gibt. Die Al-Kaida nahestehenden Rebellen jedenfalls sollen nicht an die Macht kommen. Da mag die Empörung über die vielen zivilen Opfer noch so groß sein.

Es wird billigend in Kauf genommen, dass der Bürgerkrieg andauert, um die Bösen hüben wie drüben in Schach zu halten. Und so werden wir bei CNN wohl wieder Zeugen vorgeblich chirurgischer Militäraktionen, die allein dem Zweck dienen, den roten Linien Obamas einen Rest-Respekt zu verleihen. Die Despoten werden beeindruckt sein.

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