Kommentar Niedrige Inflationsrate - Die Kaufkraft zählt

BONN · Die Fakten klingen im Großen und Ganzen auf den ersten Blick positiv. Die Inflationsrate ist in Deutschland auf den tiefsten Stand seit vier Jahren gefallen. Das heißt, Waren und Dienstleistungen verteuerten sich im Mai im Vergleich zum Vorjahresmonat nur noch um 0,9 Prozent.

Vor allem die Rabattschlachten im Lebensmitteleinzelhandel und die niedrigen Preise für Erdöl, Gas und Sprit sind für den niedrigen Preisauftrieb verantwortlich. Allerdings liegt die Rate damit klar unter der genannten Zielmarke der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent, bis zu der sie von stabilen Preisen spricht.

Wenn die Preise weniger stark steigen, müsste das eigentlich eine gute Nachricht sein, könnte man meinen. Doch so einfach ist die Sache nicht. Eine niedrige Inflationsrate hat Gewinner und Verlierer. Sparer gehören zu letzteren, denn die Zinsen für Sparguthaben liegen in Zeiten niedriger Teuerungsraten wie jetzt nahe Null.

Das Ersparte verliert also an Wert. Dies wird auch für diejenigen zum Problem, die fürs Alter vorsorgen wollen. Und: Je geringer die Teuerung, desto schwieriger wird es für Unternehmen, Preiserhöhungen am Markt durchzusetzen. Damit rücken auch Lohnerhöhungen in weite Ferne.

Außerdem kann man die Entwicklung der Preise nicht isoliert betrachten. Weniger stark steigende Preise allein verführen nicht unbedingt zum Einkauf. Auch das Gegenteil kann eintreten: Die Preise könnten längere Zeit fallen. Ökonomen sprechen dann von einer Deflation.

Das bedeutet, dass Verbraucher ihre Anschaffungen immer weiter aufschieben, weil sie glauben, dass Produkte künftig noch billiger werden. In der Folge bekommen die Unternehmen Probleme, schieben ihrerseits Investitionen auf und entlassen schlimmstenfalls Mitarbeiter.

Wirtschaftlich relevant ist vor allem die Kaufkraft, also jener Teil des Einkommens, den ein Haushalt bereit ist, für Konsum auszugeben. Die Rechnung ist einfach: Verbraucher bekommen bei konstanten Einkommen oder Renten und niedrigem Preisauftrieb mehr für ihr Geld - ihre Kaufkraft ist also umso höher, je langsamer die Preise steigen.

Zu den Profiteuren einer niedrigen Inflationsrate zählen zweifelsohne potenzielle Kreditnehmer. Denn die Zentralbank senkt die Zinsen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Banken sollen animiert werden, mehr Geld zu verleihen. Niedrige Zinsen geben Geschäftsbanken oft an ihre Kunden weiter. Verbraucher und Unternehmen können so ihre Investitionen günstiger finanzieren.

Inflation ist übrigens nicht gleich Inflation. Verbraucher nehmen steigende Preise unterschiedlich wahr - je nachdem, welche Waren und Dienstleistungen sie kaufen oder in Anspruch nehmen. Daher liegt die sogenannte gefühlte Inflation oft deutlich höher als die gemessene.

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