Kommentar NRW: Auch eine Richtungswahl für den Bund

BONN · Nordrhein-Westfalen steht vor einer Wahl, die eigentlich keiner gewollt hat, die aber paradoxerweise denen die besten Chancen bietet, die am Mittwoch gescheitert sind: Rot-Grün. Doch das ist die Momentaufnahme. Bis zum Wahltag wird gerade die Union alles daran setzen, um die Umfragen Lügen zu strafen. Und es wäre nicht das erste Mal, dass von NRW Signale für die Bundespolitik ausgehen. Deshalb steht das Land vor einer echten Richtungswahl.

Betrachtet man die Ausgangslage der einzelnen Parteien, so gibt es schnell bemerkenswerte Klarheit: Die Linke wird im neuen Landtag, wenn überhaupt, zu vernachlässigen sein, egal, wie viele Sitze sie erhält. Denn sie hat in den knapp zwei Jahren Tolerierung der rot-grünen Landesregierung gezeigt, dass mit ihr kein Staat zu machen ist. Nochmals wird sich Hannelore Kraft diesen Tort nicht antun. Die Toleranz für die Tolerierung ist erschöpft, ein offiziell deklarierteres rot-rot-grünes Bündnis wird es nicht geben, auch wenn die derzeitigen Oppositionsparteien natürlich auf der Klaviatur dieser Gefahr spielen werden.

Für die FDP, so dachte man bisher, geht es schon bei der Wahl in Schleswig-Holstein um die Existenz. Jetzt wird Nordrhein-Westfalen entscheidend. Bleibt sie, wo sie ist, bei zwei oder drei Prozent, wird sie in eine neue Führungskrise schliddern. Schon jetzt gibt es, auch in Nordrhein-Westfalen, genügend Stimmen, die Philipp Röslers Kopf fordern. Da ist es nur ein zeitlicher Zufall, dass am übernächsten Wochenende Christian Lindner, der ausgeschiedene Generalsekretär, sein Comeback startet, als Bezirkschef in Köln. Es kann sein, dass er danach ganz schnell ganz oben stehen wird in der kleinen, gerupften liberalen Partei.

Ganz gleich, wie sehr sie gerupft werden wird: Als Mehrheitsbeschaffer für die CDU wird sie in keinem Fall ausreichen. Damit aber stehen Norbert Röttgen und seine CDU vor einer Pioniertat, die wie wenige andere auf den jungen Umweltminister im Kabinett Merkel zugeschnitten ist: Sie sind dazu verdammt, neue Mehrheiten zu suchen. Und die lassen sich nach Lage der Dinge nur bei den bisherigen Regierungspartnern finden. Für beide Muster - Koalition mit der SPD, Koalition mit den Grünen - gibt es gute Gründe und erste Hinweise. Röttgen hat Konsensfähigkeit mit Hannelore Kraft gezeigt, als er den Schulkompromiss zimmerte. Eigentlich aber sieht er in schwarz-grünen Bündnissen die Zukunft für seine Partei. Ökologisch, Umwelt bewahrend, damit Wertkonservatives verbindend, das brächte die Union aus der Ecke der marktwirtschaftlichen Kälte und der Unmodernität.

Nur: Gerade in Nordrhein-Westfalen, angesichts eines Grünen-Landesverbandes, der lange Zeit weit weniger pragmatisch handelte als andere, wird es eine Herkulesarbeit, ein solches Bündnis zustande zu bringen. Gelänge es aber, hätte Angela Merkel eine neue Option, eine, die sie dringend braucht, wenn sie über 2013 hinaus regieren will. Dass sie zu solchen Überlegungen fähig ist, haben die Personalvorschläge gezeigt, die ihr die FDP bei der Bundespräsidentenkür aus der Hand geschlagen hat: Klaus Töpfer etwa, den früheren Umweltminister und quasi Berufs-Grünen. Das wird, völlig unerwartet, ein spannendes Frühjahr.

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