Kommentar Klimapolitik und Koalitionen - Heikles Manöver

Ein Interkontinentalflug Berlin-Rio-Berlin, bei dem 17 320 Kilogramm CO2 ausgestoßen werden, ist vielleicht nicht das ideale Entree für den Auftritt bei einer Klimakonferenz zur Reduzierung der Treibhausgase. Dass die Bundeskanzlerin dennoch nach ihrer Rückkehr von der WM dem "Petersberger Klimadialog" in Berlin einen Besuch abstattete, zeigt, dass ihr das Thema wichtig ist.

Tatsächlich hat sich Merkel einiges vorgenommen. 2015 soll es endlich einen verbindlichen Weltklimavertrag geben, in dem sich die Unterzeichnerstaaten auf konkrete Reduktionsziele festlegen. Merkel will die deutsche G-7-Präsidentschaft im kommenden Jahr nutzen, damit dem Scheitern von Kopenhagen im Jahre 2009 nicht eine erneute Pleite folgt. Da ist die Berliner Konferenz mit 35 Staaten ein erster Stimmungstest. Merkel hat sich hier also viel vorgenommen.

Auffallend häufig spricht Merkel derzeit über Umweltschutz und den Umbau der globalen Energieversorgung. Beim jüngsten Besuch in China hielt sie einen Vortrag, der ein so vehementes Bekenntnis zum nachhaltigen Wirtschaften war, dass er nicht nur den Beifall chinesischer Studenten, sondern auch den rückhaltlosen Beifall der heimischen Grünen fand.

Und genau so war das auch gedacht. Beim Thema Klima- und Umweltschutz berühren sich aus Kanzlerinnensicht strategische außenpolitische Zielsetzungen und innenpolitische Taktik. Merkel muss die Union langfristig aus der großen Koalition herausführen. Schon heute ist das Murren in der Partei über angeblich zu geringe Unionserfolge in der Regierung kaum zu überhören. Das mag sich noch verstärken, wenn im Herbst nach den Landtagswahlen in Thüringen mit einem neuen Regierungsbündnis aus Linkspartei und SPD augenfällig würde, dass die Sozialdemokraten bei ihrer Partnersuche flexibler sein können als die Union. Deswegen läuft - von Merkel gelenkt - längst das heikle Manöver einer Annäherung an die Grünen. Gezielt treffen sich Spitzenpolitiker in festen Abständen mit dem grünen Personal. Netzwerke entstehen.

Aber wachsende Sympathie auf persönlicher Ebene muss unterlegt sein mit einem ebenfalls größer werdenden Schatz an inhaltlichen Gemeinsamkeiten. Das erklärt Merkels wiedererwachtes Engagement bei Umweltthemen. Wenn die Union beim grünen Herzensthema ihren Schrecken verliert, stünden einer künftigen Zusammenarbeit prinzipiell keine Hindernisse mehr im Weg. Zudem ließe sich der neue Akzent auch in der Union gut vermitteln, denn die Bewahrung der Schöpfung ist auch ein wichtiges Anliegen konservativer Politik.

Gut ausgedacht also. Aber Merkels Plan kann nur gelingen, wenn den Worten Taten folgen. Da wird es spannend. 2013 stieg in Deutschland im zweiten Jahr der CO2-Ausstoß. Das nationale Klimaziel von minus 40 Prozent bis 2020 droht, verfehlt zu werden. Die Hochrechnungen laufen derzeit auf lediglich 33 Prozent hinaus. Das wiederum macht deutlich, wie sehr Merkel eine gelingende Energiewende braucht.

Angesichts dieser komplizierten Lage erübrigen sich die Debatten um einen möglichen freiwilligen Rückzug Merkels. Steht nach der nächsten Bundestagswahl die Allianz mit den Grünen, stellt sich die Frage neu.

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