Kommentar Justiz in den USA: Fratze des Rassismus

Die zynischste Reality-Show seit Jahren in Amerika ist vorbei. Das den Medien fast wie die Mondlandung inszenierte "Vor-Urteil" der Geschworenen-Jury im Fall Michael Brown ist ausgegangen wie befürchtet.

Der weiße Polizist, der bei einer bis heute undurchsichtig zu nennenden Konfrontation zwölf Mal auf einen 18-jährigen, unbewaffneten Schwarzen feuerte, ist von jeder gerichtsfesten Schuld freigesprochen worden - unter Umgehung eines geordneten Prozesses.

Man muss kein Afro-Amerikaner sein, um Entstehung, Verlauf, Ausgang und Nachwirkung dieses missratenen juristischen Vorspiels als Beleg dafür zu sehen, was das Land innerlich zerreißt: 50 Jahre nach dem blutig erstrittenen Ende der Rassentrennung zeigt noch immer ein struktureller Rassismus seine Fratze. Sämtliche Staatsorgane haben im Fall Brown versagt. Angefangen von den vier Stunden, die der Leichnam des Teenagers im Sommer auf der Straße lag wie ein totes Tier, bis zu der von Geheimniskrämerei geprägten Wahrheitsfindung, die ein feiger Bezirksstaatsanwalt Laien übertrug, statt selbst Verantwortung zu übernehmen.

Kein Missverständnis: Der Polizist Darren Wilson mag am 9. August in der Tat aus Notwehr geschossen haben. Ihn unschuldig zu sprechen am Tod Michael Browns, hätte aber allein Aufgabe eines offenen Gerichtsverfahrens sein müssen. Fergusons gesellschaftliches Mikro-Klima ließ dagegen eine Rechtsfindung im hermetisch von der Öffentlichkeit abgeriegelten Raum zu. In New York oder San Francisco wäre das mit großer Wahrscheinlichkeit nicht passiert.

Der Freispruch (zweiter Klasse) für Wilson steht symbolisch für ein Rechtssystem, das Schwarze nachweislich diskriminiert. Afro-Amerikaner werden - nicht nur in Ferguson - überproportional oft bei Polizei-Kontrollen verdachtsunabhängig oder wegen Nichtigkeiten schikaniert, mit Strafzetteln belegt und ins Gefängnis gesteckt, weil sie zu arm sind, um die Bußgelder zu bezahlen.

Dass so Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen wachsen muss, hat niemand anders als Präsident Obama offiziell beglaubigt. Gegen das Späterbe von Sklaverei und Rassentrennung, vor dem das weiße Amerika seit Jahrzehnten ebenso die Augen verschließt wie vor sozialen Schieflagen, die über Generationen vererbt werden, hat der erste Schwarze im Weißen Haus nichts ausrichten können.

Was man Amerika jetzt wünscht, ist Innehalten und Besinnung. Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Michael Brown einen sinnlosen Tod stirbt. Die hasserfüllten Krawalle und Plünderungen, die nach der Entscheidung der Geschworenen wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung über Ferguson kamen, liegen jedoch wie ein Fels auf dem Weg der Annäherung. Die Gräben zwischen Schwarz und Weiß werden auf Sicht noch tiefer

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