Kommentar Israel, die USA und Iran - Obama in Geiselhaft

In den nächsten Wochen, auf jeden Fall vor den Wahlen in den USA, wird sich zeigen, ob es klug ist, den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika politisch öffentlich in Geiselhaft zu nehmen. Nichts anderes macht zurzeit der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu.

Die Drohungen seiner Regierung, das Atomprogramm Irans im Alleingang militärisch anzugreifen und dafür im Gegenzug einen angeblich beherrschbaren 30-Tage-Krieg mit 500 Toten auf israelischer Seite zu gewärtigen, sind nicht nur zynisch und gefährlich. Sie zeigen drastisch, dass in Washington und Jerusalem/Tel Aviv die Uhren nicht mehr synchron ticken.

Dabei hat sich die Sachlage nirgends substanziell verändert. Die Mehrheit der israelischen Bevölkerung, darunter auch Präsident Peres, ist gegen einen Militärschlag auf eigene Faust. Hochrangige Militärs und Geheimdienstler in Israel raten davon ab, weil das iranische Atomprogramm, von dem Teheran behauptet, es sei streng zivil ausgerichtet, allenfalls zurückgeworfen, aber nie auf Null gebombt werden könnte. Amerika wiederum will nicht in einen neuen Krieg gezwungen werden und fürchtet die denkbare Kettenreaktion im Nahen Osten.

Netanjahu kümmert das nicht. Er will von Obama nicht weniger als die in Stein gemeißelte Zusage, dass Amerika die iranischen Atom-Ambitionen spätestens im Sommer 2013 von der Landkarte bombt. Wenn Teheran nicht vorher zur Vernunft kommt und seine Atomküchen einem strengen internationalen Kontroll-Regime unterwirft.

Vor der Wahl in Amerika, so das Kalkül in Israel, kann sich Obama nicht leisten, durch Abwiegeln die jüdischen Wähler zu verschrecken, die jedes Mal hyperventilieren, wenn Mahmud Ahmadinedschad wieder einmal Israels Existenzberechtigung in Abrede stellt. Obamas republikanischer Widersacher Mitt Romney würde sich dieses Zaudern nicht entgehen lassen.

Israels Premier wandelt aber auf einem sehr schmalen Grat, wenn er Obama Wankelmut unterstellt. "Ich werde nicht zögern, falls nötig Gewalt einzusetzen, um die Vereinigten Staaten und ihre Interessen zu verteidigen", sagte der Präsident bereits im März und schloss dabei eine Larifari-Strategie aus, die das Entstehen einer atomaren Waffenfähigkeit Irans dulden und nur mit einer lauwarmen Politik der Eindämmung beantworten würde.

Die roten Linien sind also längst da. Von Obama zu verlangen, sie öffentlich mit einem Verfallsdatum (sprich: einer konkreten Kampfansage an das widerborstige Mullah-Regime) zu versehen, ist töricht. Jedes Datum in der jetzigen Situation schafft Zugzwang. Wer es verstreichen lässt, wird nicht mehr für voll genommen. Netanjahu wird für seine Brechstangen-Diplomatie einen hohen Preis bezahlen. Dann, wenn Obama eine zweite Amtszeit bekommt.

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